Ripples

August 4th, 2019

Neues von Cordelia Records:
Obscure Independent Classics 1985-1987
Culpho Dog Gymkhana – 2
The Melamine Division Plates – Novosibirsk
Alan Jenkins – The Ninth Alan
The Deep Freeze Mice – My Geraniums Are Bulletproof

“She really likes a band called Tears For Fears, She’s got nothing between her ears”
trällerten die Kamikaze Sex Pilots aus Leicester in schrillen Tönen; einer von vielen alternativen Schrammelhymnen, die sich neben experimentellen Klangcollagen, japanischem Minimalismus, aus dem Ruder laufenden Telefonaten, psychedelischem Pop und und und… auf der fünf Alben umfassenden Obscure Independent Classics – Reihe von Cordelia Records finden.
Auch heute noch klingen viele dieser Songs, die nebenbei einen perfekten Überblick über den musikalischen Untergrund der Achziger bieten, wie Zukunftsmusik. Die meist in 200er Auflagen gepressten LPs sind natürlich längst vergriffen und gesuchte Ware. Da schafft nun dankenswerterweise eine CD-Kompilation mit den Höhepunkten Abhilfe.
Für die Wiederveröffentlichung, die uns nochmals schnurstracks in die Welt des DIY und der Kassetten- und Kleinstlabels zurückkatapultiert (und uns dort vielleicht zurücklässt?) ist ein gewisser Alan Jenkins verantwortlich, der als treibende kreative Kraft nicht nur seine experimentelle Pop-Band Deep Freeze Mice zu einem enormen Output antrieb, sondern auch noch mit Cordelia Records ein Plattenlabel unterhielt. Letzteres zum Zweck, die staatliche Förderung ( £ 40.- /Woche) “zur Gründung einer Firma”, die die Thatcher-Regierung zum Beschleunigen der Privatisierung aussprach, für die Veröffentlichung von weiteren musikalischen Absonderheiten umzuleiten. Auch frönte Mr. Jenkins dem heutzutage noch exzentrischer anmutenden Hobby, sich per Briefpost auszutauschen und seine Musik mit vermeintlich Gleichgesinnten und Stubenhockern in der weiten Welt zu tauschen. Das Resultat war dann eine stattliche Anzahl an LPs, die im schönen Siebdruck – Falt – Cover Künstler wie Dolly Mixture, Mr. Concept, Rimarimba, Zoogs Rift, Leven Signs, R. Stevie Moore, der erwähnten Obscure Independent Classics – Serie und seinen eigenen Projekten zu Ruhm verhelfen sollte. Als Alan Jenkins Terry Burrows, der mit Hamster Records, eine ähnlich veranlagte Mission und eine Affinität für alles Japanische verfolgte, kennenlernte, mündete dies in zahlreichen Kollaborationen. Aus den Deep Freeze Mice wurden die Chrysanthemums (und später weitere Abkömmlinge wie Ruth’s Refrigerator, Jody & The Creams oder The Thurston Lava Tube) und die Liebe zu verschollenen Sixties-Klassikern wie den Zombies traf auf den intelligent verschwurbelten Aufbruchsgeist aus den Achzigern.

Nachdem die turbulente musikalische DIY-Welt mit seiner alternativen Geschichtsschreibung langsam implodierte und vom Zeitgeist für obsolet erklärt worden war, erhöhte Mr. Jenkins in seinem Haus in den englischen Midlands die Schlagzahl ganz einfach und macht seitdem ungebrochen weiter sein “eigen Ding”. Mag sein, dass sich die verwandten Seelen selbst im Land der kultivierten Exzentrik nun schwerer finden lassen, aber egal, dann erfindet man einfach zahlreiche, aus der Fantasie entsprungene Bands und schreibt jeweils eine Geschichte dazu, spielt praktisch alle Instrumente selbst, kreiert unterschiedliche Stile und veröffentlicht kleine Perlen am Laufmeter. Und was wäre die Welt ohne solch verschrobene Genies mit Minderheitsinteressen? Definitiv noch weniger auszuhalten!
Die Musik, die Alan Jenkins in der letzten Zeit für z.B. Culpho Dog Gymkhana, The Melanime Division Plate oder auch zwischendurch unter seinem eigenen Namen schrieb, ist immer unberechenbar und überraschend in seinen Wendungen, und doch zieht sich ein roter Faden durch das manifaltige musikalische Universum Jenkins’. Die von ihm als Genre erfundene Experimental Surf Music ist von langen Gitarreninstrumentals dominiert, die aber immer in alle Richtungen ausufern und seine Affinitäten für Garagenrock, Tape Music, Manipulationen in bester Beatles Weisses Album – Manier, Improvisationen oder Soundscapes miteinfließen lassen. Catchy, schräg und immer “sophisticated” und unterhaltsam, da kann man vortrefflich in eine bizarre Welt abtauchen und sich verlieren. Schwer zu sagen, wer ihn wo und wie unterstützte, aber es ist anzunehmen, dass die Musik praktisch von ihm alleine eingespielt wurde.

Versteht sich somit von selbst, dass auch die  “weltweit verstreuten” Bands, die auf den “Experimental Surf Music”-Samplern munter instrumentale Coverversionen von Bowie, Velvet Underground oder Zappa interpretieren, eher in einem Wohnzimmer in Leicester beheimatet sind.
Alan Jenkins wäre nicht er selbst, wenn er nicht die schöne Tradition der bizarren und literarisch verschiedenste Stile und Genres verfolgende Sleeve-Notes der Deep Freeze Mice weiterführen würde, wo der höhere Schwachsinn zur Kunst stilisiert wird und zu immer surrealeren Ergebnissen führt. Dabei mischen sich seine ihm am Herzen liegenden Themen wie Tierrechte, Politik und das Musikbusiness mit seinen gleichfalls skurilen Auswüchsen problemlos mit den unterschiedlichsten Parallelwelten, der experimentellen Theaterwelt, erfundenen Wissenschaftstexten oder Sci-Fi-Stories.
Zum vierzigsten (!!!) Jubibiläum der ersten Deep Freeze Mice – LP “My Geraniums Are Bulletproof” spielte Alan Jenkins das Album nochmals ein:
Alan Jenkins: “In order to celebrate the 40th anniversary of the release of my very first album “My Geraniums are Bulletproof” by The Deep Freeze Mice, I have recorded it again. The new version is different to the old one in many interesting ways. For instance, I shortened the 28 minute track on side two down to 6 minutes and made one of the other tracks 28 minutes long instead. Crazy huh?”

cordelia records

Ripples January 2018

January 16th, 2018

Gilroy Mere – The Green Line
The Hardy Tree – Through Passages Of Time
Jon Brooks – Autres Directions

 

Das London, das man noch in den 1980ern als eine heterogene architektonische Mischung aus viktorianischen Prachtbauten, typischen Reihenhaussiedlungen, brutalistischen Nachkriegs-Towerblocks und urbanen Brachflächen – die Hinterlassenschaft der Bombenangriffe aus dem Zweiten Weltkrieg oder später aufgrund Verwahrlosung entstanden – kannte, ist längst passé.
Fragmentarisch und widersprüchlich wirkte die Stadt damals an vielen Ecken; ein Moloch, der noch Platz ließ für andere Lebensweisen als der kapitalistischen. Squatting ist kein Thema mehr in London, Obdachlosigkeit aber mehr denn je; die Kreativität wird beinahe ausschließlich dafür aufgewendet, einen bezahlbaren Wohnraum zu finden und die Lösung ist oftmals die, dass man sich zu Dritt eine 1-Zimmer-Wohnung teilt und in Schichten schläft. Die Halb-Wildnis des East Ends oder South Londons wurde unter dem Deckmantel von Urban Regeneration Schemes in eine von Luxuswohnungen und Malls verwandelt. Das sind alles keine Neuigkeiten, banale Fakten.

Nicht zufällig aber ist der moderne Moloch London auch der, in dem Guy Debords Idee von dérive – vom Weg abkommen – am lebendisten weitergetragen wird. Zahllose Bücher über das “Lost London” dokumentieren die Veränderungen des Stadtbildes nüchtern; eine Künstlerin wie Laura Oldfield Ford veröffentlichte dagegen im Fanzine-Stil ein periodisch erscheinendes subjektiv-poetisches Tagebuch, das die krassen Veränderungen ihres urbanen Umfeldes festhält und dabei Geschichten über sich und ihren Freundeskreises mit stadtpolitischem Tagesgeschehen vermischt (Savage Messiah). Laura Oldfield Ford zeigt sich dabei als wahre Psychogeographin.
Das Mikro-Label der Illustratorin und Musikerin Frances Castle Clay Pipe Music reagiert auf den unguten Wandel ebenfalls mit einer Art Diary, einem musikalischen. In kleiner Auflage und mit ihrer unverwechselbaren Handschrift der Hüllengestaltung, die an Holzschnitte erinnert, veredelt, sind die LPs begehrt und immer schnell vergriffen.
Der imagninäre Zeitsprung zurück in eine Vergangenheit, die noch nicht von Neoliberalismus, Gleichförmigkeit oder Massentourismus bestimmt war, in der Darren Hayman eine Liebeserklärung an die britische Swiming Pool-Kultur (Lido) komponiert, Sharron Kraus tradtitionelle walisische Erzählungen in transzendente Songs verwandelt oder Vic Mars, fernab von England in Japan, von der Britischen Eisenbahn träumt, ist nicht nur einer, der rein nostalgischer Natur ist. Die so unterschiedlichen wie persönlichen Alben erzählen auch etwas über die Vielfalt des Lebens in der Stadt, die es zu verteidigen oder wiederzuentdecken gilt. Die Nostalgie, eine Wehmut über das Verschwinden und Vergessen weckt gleichzeitig den Widerstandsgeist, der sich in unkommerziellen Gegenbewegungen in den britischen Städten bemerkbar macht und vom Urban Gardening über selbstverwaltete Arts-Center bis eben zu Labels und Buchverlagen, die aus dem eigenen Wohnzimmer betrieben werden, zeigt.


In den vergangenen Monaten sind drei neue Schmuckstücke zur Sammlung Frances Castles hinzugekommen, die wieder die Sehnsucht für ein Leben aus Tagträumen, Fluchten und verlorenen Nachmittagen wecken.
Through Passages of Time von The Hardy Tree (aka Frances Castle) führt die Reise an verlorene, nicht mehr existente Orte, Plätze und Gebäude, zu der sie mit ihrem Debutalbum einlud, fort. Frances Castle schafft mit Vibes, Mellotron und Elektronik eine subil-verfremdete musikalische Welt, in der pastorale, verwunschene Folkmelodien auf – bei den Stücken, zu denen Alision Cotton ihre Viola beisteuerte – brüchige Salon-Hausmusik trifft, die an die wunderbaren Dolly Mixture erinnern. Die Esche auf dem St. Pancras – Friedhof in London, die nach Thomas Hardy, der dort eine zeitlang als Gehilfe arbeitete – benannt wurde, hat sich ihr eigenes Kunstwerkt erschaffen, indem sie umgruppierte Grabsteine mit Wurzelwerk überzog und die Ebenen verschob.
Nach dem Old-School-Folk auf dem Wayside & Woodland-Album The Myth of Violet Meek, elektronischen Ausflügen unter den Namen Dollboy, Rhododendron oder Australian Testing Labs passt Oliver Cherers aka Gilroy Meres Hommage an die eingestellten Vorortbusse, die die Städter ins Umland von London brachten – The Green Line – vielleicht etwas überraschend wunderbar in das Raster von Clay Pipe Music. Die Platte ist als eine Erinnerung an diese Fahrten konzipiert; Erinnerungen aus der Kindheit, die er in Süd-London verbrachte und an der Grenze zwischen Stadt und Land lebte. Cherer verwendet für The Green Line konsequenterweise Instrumente, die er in Ramschläden und Charity Shops erstanden hat. Mit einem ungewöhnlichen Sammelsurium wie eine Farfisa Orgel, eine Spielzeugschlagzeugmaschine, ausrangierten Synthesizern, aber auch klassichen Gitarren komponierte er warme, melodische Musik, teils butterweich, teils sperrig. Oliver Cherer darf sich in der Tradition von britischen Vorgängern wie Normil Hawaiins, The Leven Signs oder gar eines Brian Eno sehen.


Jon Brooks schon drittes Album für Clay Pipe führt über den Kanal nach Frankreich. Autres Directons ist wie die Vorgänger aus sorgfältig arrangierten musikalischen Skizzen und Field Recordings konzipiert, die minimalistischer, fließender als sein anderes Projekt – The Advisory Circle – sind und zwischen Songs und Soundscapes pendeln.

Clay Pipe Music

Ripples April 2013

April 29th, 2013

Veronica Falls – @ Noumatrouff Mulhouse
Haiku Salut – Tricolore
Strange Idols – Idolatry
Bona Dish – The Zaragoza Tapes
The Pastels – Slow Summits
Cherry Red veröffentlicht diese Tage eine opulente 5 CD-Box – Scared To Get Happy, A Story Of Indie Pop 1980 – 89 -, die sich der exklusiv britischen, vom Glasgower Postcard Records und Alan Horne einige Jahre zuvor kreierten, mit Theorie und Romantik aufgeladenen Facette des Post-Punks widmet. Der allgegenwärtigen Trostlosigkeit jener Zeit setzte man den Sound Of Young Scotland bzw. dann Young Britain entgegen: die Annäherung an den idealen Popsong, gespielt mit der Energie des Punks.
Dem Londoner Quartett Veronica Falls, das angesichts der Livepräsentation des zweiten Albums Something To Happen auch im Mulhouser Noumatrouff konzertierte, darf nicht unterstellt werden, dem Genre Artpop revolutionär Neues hinzufügen zu wollen.

 

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Ripples Oktober 2010

October 1st, 2010

Dolly Mixture -Everything And More

Margaret Thatcher war in den 1980ern in Großbritannien indirekt um die Förderung der Subkultur besorgt. Anstatt einem nicht mehr vorhandenen Fabrikjob nachzujagen, bot sie dem Menschen on the dole die Möglichkeit eines staatlichen Förderungskredits, um damit eine eigene Firma zu gründen, was als Nebenerscheinung zur Folge hatte, dass zahlreiche Musiker ihr eigenes Independent-Label gründeten. Cordelia Records war ein Paradebeispiel. Deren Katalog hatte neben den eigenen Bands für einige Zeit allerhand Obskures zu bieten. Das Fireside – Minialbum von Dolly Mixture, 1986 erschienen, eine leicht melancholische Mischung von Kammer- und Hausmusik, vorgetragen von drei sympathischen, sehr englisch aussehenden jungen Frauen, ist diesbezüglich noch in bester Erinnerung. Aber diese handvoll Songs sollten schon den Schlußpunkt der ‘Karriere’ dieser weitgehend undokumentiert gebliebenen Band bilden.

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