Ripples March 2018
March 30th, 2018
Kraak Festival 2018 Bruxelles
Im Bota(nique) bereitet man sich schon auf die Nuits Botanique vor und im AB (Ancienne Belgique) steht das BRDSST – Festival an, das den retro-futuristischen Geist der Birminghamer Formation Broadcast (und sprichwörtlich den der jung verstorbenen Sängerin Trish Keenan) weiterträgt. Zuvor gibt man sich aber das jedes Jahr am ersten Märzwochenende stattfindende Kraak-Festival mit seinem dichten Programm von Off-Stream Künstlern, viele tatsächlich noch so unbekannt, dass man getrost von Underground sprechen kann. Die zwanzigste Ausgabe des seit einigen Jahren zum Dreitäger gewachsenen und seitdem im Beursschouwburg verorteten Festivals startete am Eingang damit, dass man eine Vuvuzela ausgehändigt bekommt, um unter der Regie von Mr. Pinkie Bowtie, der als Dirigent fungierte, die Festivalovertüre zu tröten.
Sandra Boss, dänische Elektronikkomponistin, steht kurz darauf im Saal vor ihrem Tisch, auf dem Kassettenrekorder und allerhand analoges Gerät bereitsteht, um damit ein experimentales Radiohörspiel in Echtzeit zu produzieren. Testsignale, eine Kassettenaufnahme, auf der ein Sprecher Zahlen vorliest, Geräusche, die beim Betätigen der Ein- und Ausschalttaste entstehen; obwohl die Komposition von Sandra Boss mit konkreten Quellen arbeiten, bringen subtile Überlagerungen die Wahrnehmung ins Schwimmen und die Technik metamorphisiert zur Kunst.
Lea Roger (Harfe, Geräusche) und Celia Jankowski (Gesang, Perkussion, Geräusche) sind Osilasi. Ihre halb-komponierte, halb-improvisierte Musik schöpft aus vielen Quellen der musikalischen und performativen Klaviatur. Tribalistische Rhythmen, teilweise mit DIY-Instrumenten gespielt, bilden das Gerüst der langen Stücke, die aber stets Freiraum für das Harfenspiel und andere subtile Elemente lassen. Merkwürdige Esoterik trifft auf Experimentalmusik, ein Hauch 1960er-Avantgarde-Atmosphäre imprägniert den Raum. Osilasi sind musikalisch bisweilen nicht weit von der ähnlich genreübergreifende Musik des Kammerflimmerkollektivs entfernt.
Ka Baird legt dann mit einer hyperenergetischen Performance nach. Gründungsmitglied der Psych-Rock Band Spires That In The Sunset Rise, wechselt sie permanent zwischen nervösem Flötenspiel, Keyboard/Samplings, heißererem, animalischem Gesang und ähnlich veranlagtem ritualisitschen Ausdruckstanz. Abgedreht, schamanenhaft, schräg und bisweilen nicht nur auf die inspirierende Art auf die Nerven gehend; ihr Auftritt lässt das Publikum etwas ratlos zurück.
Transport dann, eine Großformation inklusive auf dem Boden sitzenden Flötistinnen und Sängerinnen, so nicht mehr seit den letzten Tagen des Freak Out-Zenits bei einem Umsonst & Draußen – Festival in den Siebzigern gesehen, haben sich unter anderem genau diesem Genre verschrieben. Krautrock, treibende Afro-Free-Jazz-Beats und tranceartige, hypnotische, ausufernde Stücke lassen die Vermutung im Raum stehen, vor allem in Verbindung mit dem skurillen, lautmalerischen Gesang, dass man, wenn schon nicht in den Himmel, so doch zumindest in etwas höhere Sphären aufsteigen möchte.
Zurück auf den Boden des Gouden Zaals brachte einen dann nach Mitternacht Stefan Jusher aka Jung An Tagen mit einer knochentrockenen Techno meets Darmstädter Schule-Mischung aus dem Hause Mego.
Das SEF III-Kollektiv – Max Eilbacher, Alex Moskos, Duncan More – wirkt mit seiner messerscharfen Verbindung von absurden Texten, Noise und Collagen wie eine runderneuerte Ausgabe von Negativland, den Pionieren auf diesem Gebiet. Ein guter Einstieg am Samstagnachmittag für den Haupttag des Festivals.
Leila Bordreuil, in New York City lebende Französin, lotet dann mithilfe ihres Instruments, dem Cello, den Grenzbereich zwischen vertrackter Konzeptkunst und improvisiertem Noise aus.
Red Brut aka Marun Verbiesen aus Rotterdam wird für die nächste LP-Veröffentlichung von KRAAK verantwortlich zeichnen. Sie spielt in den vom 1970er – Underground und der No Wave-Szene inspierierten Bands Sweat Tongue und JSCA. Red Brut ist ihr eigenes Projekt, das, wie sie im Interview erzählt, eine Herzensangelegenheit und eine Art Tagebuch ist; die Songs jonglieren zwischen Erinnerung und Traum. Ihre, ganz dem DIY-Geist entsprungenen Musikcollagen, haben einen sympathischen Old-School-Charme: Schnipsel von auf dem Flohmarkt erstandenen Kassetten verschwurbelt sie mit allerhand Analogem und einem Korg-Synthesizer. Nett ist das nur beim Vordergründigen Zuhören, dahinter lauert der Abgrund.
Finlay Clark, Jessica Hickie-Kallenbach und David Kennedy sind die gar nicht so ruhigen Still House Plants. Man hat sich an der Art-School in Glasgow getroffen und gefunden. Ihre Musik kombiniert reduzierte, schroffe, jazzige Gitarrenriffs mit ebenfalls minimalistischen Drums und dem Gesang von Hickie-Kallenbach, der überhaupt nichts mit dem Genre Jazz gemein hat, eher in der Tradition von New Wave-Ikonen wie Ari Up oder Lora Logic anzusiedeln ist. Ihr Debut-Tape von 2016 klingt wie eine Frischzellenkur für das ganze Genre, live wirkt das Trio ähnlich inspirierend.: Krach, Ruhe und Auslassung und ein erstaunliches Talent für Melodien; ganz sicherlich einer der Höhepunkte des Festivals.
Von dem Auftritt von Zarabatana kann man ohne Zweifel Ähnliches behaupten. Bernardo Alvares, Carlos Godinho und Yaw Tembe aus Lissabon spielen spirituellen, rhythmusdominierten Freejazz mit feinen, ironischen Anspielungen auf Rituelles, Archaisches und Voodoo.
Angesagt sind derweil einmal wieder Synthie(pop)-Bands: Capelo – Michel Nyarwaya und Eve Decampo – aus Brüssel und Miaux aus Antwerpen bewiesen dies mit ihrer leicht hippen, leicht belanglosen Hommage an die vermeintlichen Vorbilder aus den 1980ern.
Lemones aus Brüssel zelebrieren am späteren Abend eine weitere Auflage der Marke: Absurde Rockmusik. Selbstgebastelte Instrumente, Krach und Persiflage; man denkt an die Butthole Surfers oder die Straßburger Band Zad Kokar, die vergangenes Jahr das Publikum im Café zum Tanzen brachten.
Paradon’t anschließend bewiesen sich dann wiederum als intellektuelle Spaßbremse, die lieber Autechre und Stockhausen zitierten, als nochmals die Sau rauszulassen.
Der Ausklang am Sonntag wurde zuerst mit David Edrens Electronic Gamelan Music eingeleutet: auf einem Teppich sitzend ruft er esoterische Klänge auf dem Keyboard ab und lässt das Publikum schon am frühen Nachmittag in Tiefschlaf versinken.
Der Trompeter und Komponist Peter Zummo ist eine coole New Yorker – Socke: Arbeiten mit Elodie Lauten, David Behrman, zahlreiche Soundtracks, Musik für Choreographien und vor allem die Verbindung zu Arthur Russell und den Lounge Lizards brachten ihm einen verdienten Kultstatus ein. Seine aktuelle Band illustriert heute einen Streifzug durch sein Schaffen, in dessen Mittelpunkt eine Version des Song IV vom wichtigen Album Zummo with an X steht: abgebrüht und mit aller Ruhe der Welt ausgestattet räumt Zummo den Mitmusikern so viel Platz ein, dass sich nach und nach extrem spannende Klangbilder entwickeln, deren Komplexität man erst nach und nach gewahr wird, so leichtfüßig scheinen sie daherzukommen.