Ripples
July 3rd, 2023
The Orielles – Tableau
The Orielles – Live At Stoller Hall Manchester
Joanne Robertson – Blue Car
Annelies Monseré – Mares
Delphine Dora – As Above, So Below
Esben & The Witch – Hold Sacred
Viele in diesen Tagen veröffentlichte Produktionen sind in den diversen Lockdowns der Pandemiezeit in Isolation komponiert und aufgenommen worden und klingen wie eine Nachhall dieser beklemmenden Zeit, die aber andererseits auch die Kreativität zu beflügeln schien. Unötig zu sagen, dass die sich mit den dunkleren Themen des Lebens auseinandersetzende Musik auch gut in das Jahr 2023 passt.
Vegleichbar mlt dem Liverpooler Frauen-Trio Stealing Sheep zeigen die ursprünglich aus Halifax, tief in Yorkshire, stammenden The Orielles eine erstaunliche musikalische Entwicklung – und Wandlungsfähigkeit, vom “intergalaktischen Hyper-Pop” auf ihrem Debutalbum zur Leftfield-Band mit offenem Visier in alle Richtungen.
Noch quasi im Teenageralter erspielten sich Sidonie Hand-Halford (Schlagzeug), Esmé Dee Hand-Halford (Bass, Gesang) und Henry Carlyle Wade (Gitarren, Gesang) mit ihrem aus der Zeit gefallenen melodischem Indie-Pop mit Shoegazer-Anleihen eine treue Anhängerschaft aus Nostalgiern und Frischlingen.
Die Verlegung der Homebasis nach Manchester und die inspirierenden Begegnungen mit den florierenden musikalischen Subkulturszenen der Stadt und darüber hinaus – Salford, Blackburn, you name it… – zeigte dann schnell Wirkung: Auf den nachfolgenden Alben Disco Volador und La Vita Olistica (der Soundtrack zum eignen Film. Ja, man zeigt sich vielseitig und der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt) lassen sich schon neue und gewagtere, aus dem Indie-Kosmos ausbrechende, Ideen in ihren Songs heraushören: Dancefloor,- Krautrock-, Jazz-Punk-, 70s Disco-, Tropicalia- und psychedelische und elektronische Verschwurbelungen aller Art mischen sich in die weiterhin als catchy, sophisticated Popsongs angelegte Musik. Die diversen Lockdowns während der Pandemie verhinderte zwar La Vita Olistica auch vor Publikum präsentieren zu können, gab der Band allerdings auch die Möglichkeit ausführlich über neue Projekte nachzudenken.
Mit dem aktuellen Doppel-Album Tableau wagen sich The Orielles nochmals einige Schritte in bislang unbekanntes Terrain vor. Anleihen an Kunsttheorien, die von Eno und Peter Schmidt entworfenen Oblique Strategies und den Geist der großen Free Jazzer sind nur einige Einflüssen, die auf Tableau zum tragen kommen. Die Songs klingen dann aber alles andere als akademisch-verkopft; das Trio hat eine traumhaft stilsichere Mischung gefunden, die Improvisationen, Streicherarrangements und ihr Gespür für den perfekten Popsong in Einklang bringen. Unbedingt empfehlenswert ist auch das Tape mit einer Liveaufnahme in der Manchester Stoller Hall, ein Auftritt, der vom Plattenladen Picadilly Records und mit symphonischer Unterstützung des Northern Session Collective nochmals ein anderes musikalisches Licht auf das Repertoire der Band wirft.
Ähnlich wie die auch in einer englischen Hafenstadt aufgewachsene Teresa Winter wurde Joanne Robertson in Blackpool durch Punk bzw. dessen Ausläufer sozialisiert. Was sie neben der Malerei nun vor allem macht, ist, in Lyrics gekleidete Momentaufnahmen, die aus ihrem Tagebuch stammen könnten, in suggestive, tief von der britischen Folktradition inspirierte Songs zu übersetzen (im Gegensatz zur erwähnten Teresa Winter, die Grenzbereiche zwischen Elektroakustik und dekonstruierten Post-Rave auslotet).
Wie schon auf Painting Stupid Girls, das auf dem Label des befreundeten Hype Williams erschien, sind das mit einer halbakustischen Gitarre gespielte, rauhe, meist bewusst unfertig wirkende Stücke, die im privaten Rahmen aufgenommen wurden. Das Rauschen und andere Störgeräusche sind wohl Stilmittel, um neben Intimität eine Aura von Verlorenheit und Einsamkeit zum Ausdruck zu bringen. Auf dem aktuellen mit dem mobilen Telefon aufgenommenen Video zum Titelsong Blue Car läuft Joanne Robertson durch menschenleere Hotelgänge und Einkaufspassagen, inspiziert ihr Zimmer und sich im Spiegel des Bades in einem Anti-Selfie-Style. Anstatt gestellt-bemühte Fröhlichkeit und das Protzen mit einem großen Freundeskreis sieht man nur das Zurückgeworfensein auf sich selbst. Blue Car ist eine Huldigung der Introspektion. Der durch die Aufnahmetechnik manchmal betont verwaschen wirkende Gesang und die fragil-schrägen Gitarrenmelodien transportieren eine spukhafte Stimmung, die den geneigten Hörer unweigerlich in den Bann ziehen kann.
Annelies Monseré bewegt sich im weitesten Sinne im gleichen Fahrwasser wie Joanne Robertson, wobei die multibegabte Musikerin aus Ghent ihre Wurzeln im Slow Core, also der introvertierten Variante des Grunge hat.
Auf ihren Alben entdeckte sie aber zunehmd die experimentelleren Formen der europäischen Folktraditionen, die als Inspiration und eine dunkelschillernde Musik, die immer auch mal in Drones münden, zutage bringt. Kollaborationen mit unterschiedlichen Musikern aus dem Off-Stream-Spektrum wie Steve Marreyt im Duo Distels oder Luster ließen in den letzten Jahren ebenso aufhorchen wie ihre Solo-Alben und Live-Auftritte. Die komplexen Songs auf ihrem aktuellen Album Mares, das Kindheitserinnerungen von Ausflügen ans Meer, die aufgrund der Zeit von anderen Geschehnissen überlagert oder verblasst sind, als zentrales Thema hat, klingen trotz aller Ausgefeiltheit – die Aufnahmen entstanden über eine lange Zeitspanne von 2017-2022 – und Fragilität roh und düster.
Delphine Dora zeigt sich auch nach der Veröffentlichung ihres bisherigen Meisterwerks L´inattingible (three four records) umtriebig wie eh und je. Neben Konzerten an ausgesuchten Orten sind ihre Alben auf verschiedene Labels verstreut, so daß es nicht gerade einfach ist, einen Überblick zu behalten. Beliebig ist ihre Musik allerdings nie. Die ihr eigene Spontanität und Neugier bringen imnmer wieder unerwartete Facetten hervor. Im Gegensatz zum durchkomponieten Album L`inattingible, auf dem das ganze Spektrum ihres künstlerischen Umfelds mitwirkte und das als eine Art Zwischenbilanz betrachtet werden kann, bekommt man es bei As Above, So Below mit Delphine Dora pur zu tun. Fasste L ´inattingible alle ihre Interessen, sei es Chanson, Stücke für Orgel Solo, Poetry, Field Recordings oder Folk zusammen, überrascht sie auf As Above, So Below mit einem Konzeptalbum, das um ein deutsch und französisch vorgetragenes Gedicht von Novalis Cantique Spirituel kreist.
Rätselhaft abstrakte, spirituell angehauchte Piano-Miniaturen erinnern entfernt an die Saties Rosenkreuzer-Kompositionen. Vernebelte Gesangparts, im Hintergrund hört man Straßengeräusche, entfernt Gespräche; Naturaufnahmen von Vögelgesängen, Wind und Regen. Und alles zusammen bildet die perfekte Atmosphäre, um innerlich zwischen intimer Schönheit und mittelalterlichem Spuk hin- und her zu pulsieren.
Das Trio aus Brighton Esben & The Witch– Rachel Davies, Thomas Fisher, Daniel Copeman – das seit 2008 für eine ganz eigene musikalische Variante aus Goth, Shoegaze, Soundscapes und experimentellem Rock steht, hat sich vor einigen Jahren wie so viele andere in Berlin niedergelassen. Für die Entstehung ihres bislang fünften Albums Hold Sacred quatierten sie sich aber wie üblich an abgeschiedenen Orten ein, wie in den Linernotes zu lesen ist: Außerhalb Roms, an der Atlantikküste bei Porto, auf dem Land in Frankreich und Deutschland, um genau zu sein.
Dort fand man offenbar auch einen spirituellen Zugang zur Natur, die bei einer Band, deren Namen sich ja auf eine dänisches Gruselmärchen bezieht, immer auch eine übersinnliche Komponente vermuten lässt. Die früheren teilweise epischen Songs mit dramatischen Spannungsbögen sind auf Hold Sacred kürzeren, überwiegend einem leiseren Klangspektrum zuzurechnenden gewichen. Der markante Gesang der Bassistin und Texterin Rachel Davies ist der zentrale Kern dieser trotz Dislokation durch und durch britischen Musik, um den Gitarre und Keyboard die verschachtelten Songs ausgestalten.
http://www.joannerobertson.bandcamp.com
http://www.annelies-monsere.net