Ripples
September 4th, 2022
Méteo Festival Mulhouse 2022
Festivals, auch solche mit einem nicht kommerziell ausgerichteten Programm, florieren wie die Inflation allgemein. Konnte man in den 1970ern und 1980ern Jahren sich durch klassenkämpferische Attitüden noch entsprechend positionieren oder den Funken der “anderen” Musik sogar auf das Leben überspringen lassen, ist es heute aufgrund Überangebot und Verwässerung zunehmend schwerer, sich zu behaupten (das betrifft natürlich nicht nur die Veranstalter ). Neue Festivals mit experimenteller Musik zeichnen sich häufig durch die immer gleiche Auswahl an Künstlern aus und machen sich durch Konkurrenzdruck gegenseiteig das Leben schwer. Aber es gibt sie noch, die Urgesteine der Außenseiter-Festivals, und es scheint ihnen nicht schlecht zu gehen: das Outfest in Barreiro, Kraak in verschiedenen belgischen Städten oder Méteo in Mulhouse bringen es auf eine stattliche Anzahl an Editionen und wissen sich doch immer wieder neu zu erfinden.
Die letzte Woche im August, dann wenn die Dichte der Sommerveranstaltungen sich schon merklich ausgedünnt hat, schlägt das Herz der Avantgarde für knapp eine Woche in Mulhouse. Das im Gegensatz zum Noumatrouff etwas kleinere und ohne Bühne ausgestattete, dafür intimere, Motoco (More To Come) im ehemaligen Fabrikareal von DMC hat sich in den vergangenen Jahren und vor allem in der Pandemiezeit als ideale Veranstaltungsstätte erwiesen. Daneben gibt es wie gewohnt zahlreiche Nebenspielstätten für das Méteo-Programm in der erstaunlich verzweigten und manigfaltigen ehemaligen Industriestadt. Immer wieder bietet sich so auch die Chance an ansonsten für den Publikumsverkehr unzugängliche Orte zu gelangen. Diese Ausgabe des Festivals war zuersteinmal überschattet vom überraschenden, unerwarteten Tod der Trompeterin Jaimie Branch, die im Duo mit Jason Nazary das Duo Anteloper bildete und auch einer der Headliner gewesen wäre. Während der fünf Tage gab es dann auch von den meisten Musikern eine Reaktion bzw. ein ihr gewidmetes Stück zu hörten.
Die diesjährigen “aventures sonores” stellten eine etwas merkwürdige, aber natürlich immer interessannte Mischung von Konzerten, die der Tradition des Festivals in der Improvisierten Musik zugerechnet werden können und den Exkursionen in unterschiedliche Off-Stream-Subkulturen dar, so wie sie in den vergangenen zwei Pandemiejahren gepflegt wurden.
Das Trio Courtois, Erdmann, Fincker eröffnete die 2022-er Ausgabe des Festivals nach der traditionell-französischen Ouvertüre bei Speis und Trank vor dem Veranstaltungsraum mit Kammermusik-Jazz im Motoco. Mit zwei Saxophonisten und einem Cellisten durchaus ungewöhnlich besetzt spielten Vincent Courtois, Daniel Erdmann und Robin Fincker eine ambient bis wilde Musik, die in unterschiedlichen Genres wühlend, Free Jazz und World Music vereinte und nebenbei nochmals den Bogen von der traditionelleren Ausrichtung der Jazz á Mulhouse- Jahre zu Méteo spannte.
Kim Myhr stellte am späteren Abend sein neues Album Sympathetic Magic vor, das auf dem norwegischen Jazz-Label Hubro erschienen ist. Die Musik, die Myhr für das Oslo Jazz Festival 2021 schrieb und die nun in Großbesetzung aufgeführt wurde, hat allerdings mit Jazz nur am Rande zu tun, vielmehr klingen die fließenden, vom Keyboard dominierten und melodischen Songs eher wie eine mit Sixties-Psychedelica und Post-Rock in Berührung gekommene musikalische Ausformung einer Traumlandschaft.
Mittwoch, bei immer noch erstaunlichen Temperaturen, konnte man in den Atelierräumen des Le Séchoir sich von den intimen Darbiertungen zweier Duos auf die Abendkonzerte einstimmen lassen.
Lise Barkas (Hurdy Gurdy) und Maria Laurent (Klavier) loten das ganze Spektrum der Obertöne aus, vom kaum wahrnehmbaren Beginn über einen improvisierten Mittelteil bis zum aufbrausenden, dissonanten Finale; ein sehr gutes Konzert. Tizia Zimmermann (Akkordeon) und Pablo Lienhard (Modular-Synthesizer) versuchen dann Ähnliches, ohne vergleichbare Spannungsmomente kreieren zu können. Das 3785-ste Drone-Stück der Marke Tinnitus-Gefahr muss nicht unbedingt sein.
The Punk And The Gaffers war als Eröffnung des Abends im Motoco alles andere als das, Punk.
Der unverwüstliche Phillip Wachsmann (Violine) gab sich ein Stelldichein mit einem anderen Veteranen der Improvierten Musik – Paul Lytton (Schlagzeug). Verstärkung bekamen sie vom Norweger Kalle Moberg (Akkordeon). Zusammen spielten sie selbstverständlich ein künstlerisch anspruchsvolles, aber auch vorhersehbares Konzert, das das heute zahlreiche Publikum anschließend nochmals verzückt über das Virtuosentum vergangener Impro-Jahre fachsimplen ließ.
Brachialeres dann beim zweiten Konzert des Abends: Julien Boudart (Synthesizer), Toma Gouband (Percussions) und die auch zweimal mit Mopcut zu hörende Audrey Chen (Vocals) übten sich in rituellen Praktiken und irritierten mit einer perkussionslastigen und lärmigen Darbietung.
Der umtriebige und auf Festivals oft gesehene und gehörte Oren Ambarchi (Gitarre, Elektronik) präsentierte mit Ghosted mit tatkräftiger Unterstützung von Johan Berthling (Bass) und Andreas Werlin (Schlagzeug) die sanfte Fusion von Jazz, Minimal Music und Ambient. Zeit dann zum Schlafengehen.
Lucy Railton (Cello, Elektronik) ist zur Zeit fraglos eine der interessantesten Musikerinnen im Spannungsfeld von Neuer Musik, Elektronischer Komposition und Elektroakustik (zusammen mit Kali Malone, Ellen Arkbro). So fühlt sie sich in musikalischer Gesellschaft mit Stephen O’Malley genauso wohl wie mit Beatrice Dillon, Farida Amadou oder Kit Downes. Beim Festival spielte sie ein Solo-Konzert im Motoco und zusammen mit dem Pianisten Downes in der Saint-Jean-Kirche Kompositionen ihres Subaerial-Projekts, beides fasziniernd-suggestive und suchende Klangreisen.
Mopcut – Audrey Chen (Vocals, Electronics), Julien Desprez (Gitarre, Electronics) und Lukas König (Schlagzeug, Electronics) spielten zweimal während des Festivals mit verschiedenen Gästen. An diesem Freitagabend, zusammen mit der britischen Vorreiterin der neueren elektronischen Avantgarde, Künstlerin und Erfinderin für erlebbare Klänge, Kaffe Matthews – die, der Deutschen Bahn sei Dank, fast ihren Auftritt verpasst hätte – war schnell klar, was Sache ist: Noise in seinen schönsten Schattierungen. Fast schon in der Traditon bester japanischer Schule, vermeiden Mopcut jegliches Innehalten im Mitteltonbereich. Angetrieben von einem hyper-rhythmischen Soundgeflecht zählt nur Lärm und – kurze – Stille. Eine intensive Musik, die ein Spiegelbild für die chaotischen Zustände außerhalb der musikalischen Welt abbilden könnte.
Star Splitter sind Gabriele Mitelli (Kornet, Saxophon, Electronics, Vocals) und Rob Mazurek (Trompete, Electronics, Vocals). Vor dem Hintergrund der imposanten Wand der Kletterhalle, unweit des Motocos im Areal gelegen, spielten sie eine Stunde schöne Musik, die wie die perfekte Synthese ihrer langjährigen musikalischen Exkursionen, klingt. Von New Jersey über Chicago und Brasilien in die Wüste von Texas gezogen, wo er sich neben der Musik auch dem visuellen Schaffen widmet, ist Mazurek seit seinen ersten Veröffentlichungen in den 1990er Jahren zu einer der prägendsten Figuren der internationalen Free Jazz – Szene geworden. Zwischen der kosmischen Verspieltheit von Sun Ra und weit spröderen elektro-akustischen Stücken mögen Welten liegen, aber Mazurek weiß sie in Einklang zu bringen. Der jüngere Gabriele Mitelli ist musikalisch aus dem gleichen Holz geschnitzt und war auch schon in den verschiedensten Formationen zu hören, entsprechend vernetzt ist auch er.
In den Linernotes ihres Clean Feed – Albums heißt es, dass sich der Name Star Splitter auf ein Gedicht von Robert Frost bezieht, in dem dieser die Geschichte von Brad McLaughlin, einem Farmer, erzählt, der es nicht schafft ein Einkommen zu erzielen und darauf sein Haus abfackelt. Mit dem Geld der Versicherung kauft er sich ein Teleskop und beobachtet für den Rest seines Lebens die Sterne. Das Teleskop taufte er Star Splitter. Die Musik von Mazurek und Mitelli klingt wie eine patchworkartige, quicksilbrige Anordnung von melodischen und harschen, elektronischen und akustischen, free-jazzigen und songorientierten Teilen, die den Großteil der Zuhörer zu fesseln vermögen, während vereinzelte aufgrund der aufblitzenden disharmonischen Noiseelementen das Weite suchen.
Auch der nordenglische musikalische Underground hat seinen Platz im diesjährigen Méteo-Programm gefunden. Direkt der einflussreichen und äußerst aktiven Szene um das The Old Police House in Newcastle entsprungen, die uns auch schon solch funkelnde Perlen wie Yeah You (Vater und Tochter, die bei einem unvergessenen Auftritt in Barreiro beim Outfest Throbbing Gristle mit Hip Hop verbanden und deren Tape Krutch beispielsweise beim Autofahren auf einer Tour aufgenommen wurde) und Gwilly Edmundo bescherten, ließ die Liason von Mariam Rezaei (Schallplatten, Plattenspieler) und Kenosist aka Mark Wardlaw für fünfundvierzig Minuten die Fabrikhalle des Motoco in ihrem Fundament erschüttern.
Aus defekten Drum Machines und Synthesizern zusammengebaut, spielt Wardlaw Discomusik für das Ende der Tage, während Mariam Rezaei, die auch Stücke für das Radio komponiert und mit Orchestern der zeitgenössischen Musik zusammenarbeit, ihn in der konsequenten Noise-Ausrichtung mit ihren Turntables noch locker überbietet. Keine taktile Demonstration des Scratchens ist hier angesagt, sondern das Aufgehen im reinen Krach.
Für ein ähnlich subkulturelles Angebot wie das TOPS-Kollektiv sorgt seit einigen Jahren die Szene in Salford und Umgebung, zu der auch Prangers aus Rochdale – Maryanne Royle (Perkussion, Vocals, Electronics), Dan Watson und Joe Tatton (beide Perkussion, Electronics) zu zählen sind.
Wie eine wilde, punkige und den bescheidenern Lebensverhältnissen angemessene Version der “geknackten Alltagselektronik” (Möslang, Guhl) wirkt das Instrumentarium aus Stahltonnen, defekten elektronischen Geräten, das von Hinterhöfen und Schrottplätzen zusammengklaubt zu sein scheint.
Maryanne Royle rezitiert mit nüchterner Stimme aus dem Alltag, während das Trio perkussive Ritualmusik für stillgelegte Industrien zelebriert. Eine Musik wie sich 23 Skidoo mit Nurse With Wound duellieren würden und ein durchaus (denk-) würdiger Ausklang des Abends.