Ripples
September 6th, 2024
Catherine Ribeiro – La Vie En Bref (R.I.P. 1941 – 2024)
Inmitten des Wiederveröffentlichung- Booms der letzten Jahre wurden vom New Yorker Hip Label Mexican Summer auch drei essentielle Alben aus den 1970ern Jahren von Catherine Ribeiro & Alpes wiederveröffentlicht, und das in opulenter Ausführung und Preis (die trotzdem in Windeseile vergriffen waren).
Um Catherine Ribeiro, die am 23.8.2024 in einem Pflegeheim in der nördlichen Provence starb, war es zuvor nach einem kurzen Revival in den 00er Jahren ruhig geworden. Der autobiographische Roman, an dem sie schrieb, wurde nicht mehr beendet, private (Tod des Ehemanns und der Tochter) und gesundheitliche Probleme zuvor trugen das Übrige bei.
Im Wikipedia-Eintrag steht neben dem Eintrag “aktive Zeit: 1963 – 2010” auch “Ideologie : anarchistisch” :
Für die Künstlerin stand “Freiheit” und vor allem auch die Verteidigung der eigenen inneren Freiheit über allem. Den Ruf, äußerst schwierig zu sein, erwirbt sie sich durch ihre leidenschaftliche Verteidigung der Rechte der Unterdrückten und Unterprivilegierten und dezidierten politischen Aussagen, und, ja, auch durch die sperrige Musik, die anarchistische Ideen mit avantgardistischer Musik in Gleichklang bringt. “Lasst der Kunst all ihre Schönheit und die Reinheit” ist zeitlebens ihr Motto.
Und so wird ihre Musik mit Alpes – im Gegensatz zu ihren späteren Alben mit Chansoninterpretationen – weiterhin von einer größeren Öffentlichkeit unentdeckt bleiben, dafür wird sie von einer jüngeren, nicht am Mainstream interessierten, Generation entdeckt.
Die Geschichte von Catherine Ribeiro beginnt 1941 inmitten des Zweiten Weltkriegs im Industriegürtel von Lyon, wo ihre Eltern, portugiesische Auswanderer, arbeiten und politisch der Kommunistischen Partei nahestehen. Ihre Mutter lehnt die früh erwachte künstlerische Neigung Catherines ab und reagiert mit Härte und Ablehnung. Die Traumata werden von Catherine in ihrem Buch über ihre Kindheit L’Enface (L’Archipel, 1999) zwar poetisch verschlüsselt, aber schonungslos beschrieben. Mehrere spätere Suizidversuche sind wohl auch in den Konflikten der Kindheit begründet.
Danach: Die Flucht nach Paris mit 19 Jahren, sie schreibt Gedichte und taucht ab in die Welt der großen Dichter, will Schriftstellerin werden. Sie muss aber auch ihren Lebensunterhalt verdienen, Rollen in Theaterstücken, und auch in Jean-Luc Godards “Die Karabinieri” und einigen anderen Filmen führen aber zu nichts. Das heißt, das stimmt nicht ganz. Sie lernt Patrice Moullet kennen, mit dem sie eine lange amouröse und künstlerische Liason in der Musik beginnt.
Mit der “yé yé-“ Welle, der französischen Interpretation des neuen Pop-Phänomens der Früh-1960er, das durch die Beatles ausgelöst wurde, versucht man sich zuerst mit Adaptionen von Folkstücken und aufgepeppten Chansons, bevor Moullet psychedelische Musik und sein Talent für das Bauen von eigenen Instrumenten – das “Percuphone” beispielsweise – und Klangtechniken entdeckt.
Es entsteht Musik, die so noch keine Vorläufer in der französischen experimentellen Musik hat. Elektronische, halluzinierende und hypnotische Klangteppiche kombiniert mit Free Folk, die die Grundlage für Catherine Ribeiros Gesang bilden. Im Laufe der Alben entfernt man sich auch immer mehr von der klassischen Songform, obwohl die Texte die Essenz bleiben. Die komplexen Strukturen der Songs lassen Vergleiche mit der unkonventionellen Prog-Band Van der Graaf Generator und ihrem ähnlich stimmlich ausdrucksstarken und die Grenzen überschreitenden Mastermind Peter Hammill zu.
Themen wie Suizid, Einsamkeit, Unterdrückung, poilitische Konflikte; teils poetisch verschlüsselt, teils konfrontativ sind das eine, die Stimme Catherine Ribeiros aber das eigentlich Sensationelle:
“ Eine großartite Stimme: Stimme der Hoffnung, der Verzweiflung, der Geburt und der Agonie, des Hasses und der Liebe, eine Stimme des Herzens und des Sex, eine Stimme des Wimmerns und des Schreiens, eine magische Stimme mit den Wörtern, die sie ausspricht, eine Stimme, die aus den Eingeweiden kommt und direkt in die Eingeweide derjenigen trifft, die sie hören,”
so überschwänglich schwärmt der Musikjournalist Etienne Blondet 1975.
Die Platten von Catherine Ribeiro & Alpes aus den 1970ern Jahren stehen als einzigartiges Zeugnis für die heute undenkbare Verbindung von wegweisender experimenteller Musik, politischem Engagement und sehr persönlichen und introspektiven Lyrics.
Auch ebnen sie den Weg für einheimische Musiker, zum Beispiel aus dem Rock In Opposition – Umkreis wie Etron Fou Leloublan oder Albert Marcoeur, aber auch für von der “reinen Lehre” abkommende Chansonsängerinnen wie Brigitte Fontaine, die Songs oder den Chanson in eine freiere, experimentelle Richtung weiterentwickeln.
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