Das Londoner Angular Label, deren Betreiber während der Recherchen für ihren Minimal/Cold – Wave – Sampler tief in den Kassetten – und sonstigen Untergrund der Achziger abtauchten, verdienen sich auch für die Wiederveröffentlichung des subtil ironischen Meisterstücks Polaroid/Roman/Photo der (teils fiktiven) Formation Ruth (aka Thierry Müller) Lob. Thierry Müller / Ilitch beschreitet mit seinem neuen Album La Maieutique De La Quantique nun allerdings wieder einen ganz anderen Weg. Das Cover ziert das chaotische Durcheinander einer entrümpelten Wohnung. Tabula rasa ist zweifelsfrei auch das Motto der Musik. Bei den Live-Improvisationen – in der Besetzung Thierry Müller (Guitars, Keyboards), Patrick Müller (Elektrosonik, Synthesizer), Franq De Quengo (Drums, Electronics) und Fred Nipi (Analog Modular System, Noises) eingespielt – hat man es weder mit den new wavigen, noch den sphärisch elektronischen Stücken, die Müllers Ouevre auch ausmachen zu tun. La Maieutique De La Quantique ist in erster Linie eine karthartische, raue Gitarrenplatte. So staubtrocken produziert, dass selbst ein Steve Albini den Hut ziehen müsste, würde er sich für experimentelle Musik interessieren, dominieren Thierry Müllers erdige, fräsende Gitarrenattacken/Feedbacks. Störgeräusche, elektronische Verfremdungen und ein stoisches Schlagzeug fügen sich ein und beschwören eine punkig-apokalyptische Stimmung, die in ihrer unnachgiebigen, unheilschwangeren Düsterheit und Konsequenz an die Zeiten von Shub Niggurath, Univers Zero und Metal Urbain gemahnt. Auf dem 15 – minütigen pulsierenden, zentralen La Quantique De La Maieutique driftet Ilitch dann doch noch vom Planet Erde langsam in eine ferne, dunkle Galaxie.
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Mit der “Allstar –  Recommended Records – Formation” Vril (Bob Drake, Lukas Simonis, Chris Cutler ), die von sich behauptet, eine intellektuelle oder auch eine C21- Version einer Surfmusikband zu sein, tourt er derzeit als Gastgitarrist. Mit seinem eigenen Projekt The Thurston Lava Tube hat Alan Jenkins in der letzten Dekade das Genre mit ähnlich Vertracktem und der ihm eigenen Kombination aus Understatement und Sophistication allerdings gleich auf wahnsinnigen acht Platten durcheinandergebracht, zahlreiche schräge Hommage – Kompilationen mal ganz außer acht gelassen. Cordelia Records, was waren das für Zeiten in den 80ern, als in erster Linie im deutschsprachigen Raum und den Benelux-Ländern The Deep Freeze Mice und etwas später The Crysanthemums (die Fusion mit Hamster – Boss Terry Burrows) den DIY-Untergrund vom Post-Industrial ins subversive Pop-Nirvana manövrierten? Kommerziell sprang dabei naturgemäß wenig bis nichts raus. Durch das unbezahlbare Engagement von Joachim Reinbold aka JAR, der zahlreiche Platten zuerst per Postversand, dann in Lizenz und dann in Eigenregie vertrieb,  veröffentlichte und später Tourneen organisierte, erwarben sich die Cordelia – Bands allerdings einen ausgezeichneten Insider-Ruf für exzentrische Popmusik. Seit Reinbolds Rückzug aus dem Geschäft ist das Nervenzentrum wieder ausschließlich in den britischen Midlands beheimatet, wo – wie auch noch weiter nördlich – eine scheinbar unstillbare Sehnsucht nach dem leichten Leben am Strand als Kompensation für ein (postindustrielles) Leben weiterhin wundersam-obskure Blüten treibt (Surfin Dave hat man noch in Erinnerung, die Girlbands Hotpants in Romance und Poppy & The Jezebels sind zwei aktuelle Beispiele). Die ersten drei Lava Tube – Alben, von denen die ersten beiden plus die EP Pour Quoi Pas Moo nun auf 80 Minuten zusammengepackt als CD erhältlich sind, sind vielleicht – trotz oder gerade dem verqueren, aber dann doch irgendwann vorhersehbaren Popvarianten der Vorläufer The Creams und Ruth’s Refrigerator das Innovativste seit der legendären Doppel – LP der Deep Freeze Mice. Auch beinahe ohne Gesang und Text ist Jenkins oft beschworene Subversität omnipräsent. Titel wie A Murderer, A Mass Murderer and a Man in a Bri-Nylon Shirt, I Was A Teenage Camel, Christmas in the Measles Ward at The Battersea Dog’s Hospital oder Plague of Cows bedürfen selbstverständlich keiner weiteren Erklärung. Leicht wacklige Surf-Gassenhauer wechseln sich mit improvisatorischen Klangcollagen ab, die trotz Finesse immer noch näher am autodidaktischen Post-Punk Gestus als am Impro-Kanon beheimatet sind.
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Ian Hopkins hat mit seinem Blank Workshop, der imagninären Stadt Clinkskell, semi-realen Heritages, tourist boards und dem Moon Wiring Club, in dessen Örtlichkeiten und Räumlichkeiten allerhand Séancen zum nachspielen stattfinden, einen eigenen Kosmos des phantasievollen Bizzarren kreiert. Hopkins ist ohne aufzuschneiden Illustrator, Comickünstler, Psychogeograph, Hypnagog, Musiker in einem. All das und noch viel mehr ist auf der Website herauszufinden.
Verwirrung ist auch das Motto der aktuellen Platte des Moon Wiring Club – A Spare Tabby At The Cat’s Wedding an, ist doch das Album inhaltlich in einer völlig voneinander verschiedenen Vinyl und CD – Version erhältlich. Ian Hopkins freundliche Aufforderung zum dérive und détournement ist also ernst zu nehmen. Er mischt TV-Schnippsel, altertümliche Synthesizerklänge und eine Verehrung für die aufklärerischen, akademischen BBC Informationssendungen aus den 60ern und 70ern zu  phantasievollen, warmen Collagen, die in ihrer Buntheit den Illustrationen nicht nachstehen. Aufgrund des freien Zitierens und Collagierens mit Samples ist der Moon Wiring Club natürlich genreverwandt (und nebenbei auch befreundet) mit dem Ghost Box und Mordant Music – Musikern; Ian Hopkins verfolgt in seinen Stücken wiederum weniger deren Kultivierung des subversiv Unheimlichen, sondern geht seiner persönlichen Vorliebe für Hip Hop Beats und überdrehten Melodien nach.
blankworkshop