Ripples

April 23rd, 2021

Mocke – Parle Grand Canard
Pierre Barouh – Le Pollen

Von den Zusammenarbeiten mit Eloise Decazes, Claire Vailler oder Delphine Dora kennt man den unter dem Künstlernamen Mocke aktiven Pariser, aber in Brüssel wohnenden, Dominique Départ als kongenialen Arrangeur, Gitarristen und Komponisten, der die exzentrisch-zarten Vertreterinnen des alternativen frankophonen Chansons und Rocks perfekt in Szene setzt.

Die jazzig, leicht verdreht-psychedlisch und folk-rockigen Songs spiegeln aber nur eine Seite des Musikers Mocke wider. Auf seinen drei rein instrumentalen Solo-Alben kommen zahlreiche andere stilistische Affinitäten zum Vorschein. Parle Grand Canard wird von der 16-minütigen Suite Quel est ton parcours?, die die ganze erste Seite der LP einnimmt, dominiert. Melodisch, leicht, und subtil scheinen seine Vorlieben für klassische Komponisten (Britten, Schostakovitch) durch. Streicher, Piano und Chöre verdichten die harmonische, introspektive Komposition und veredeln sie mit einem Hauch Andersweltlichkeit. Stilistisch noch offener sind die sechs kürzeren Songs auf der zweiten Seite. Ausflüge in osteuropäische Folklore, ein kurzer Klezmer-Intervall, melancholische Chöre, ein Waldhorn setzt Akzente und fragile bis kurz ins Rockige ausbrechende Gitarrenminiaturen lassen über eine kurze Aufmerksamkeitsfähigkeit des Komponisten spekulieren, wäre da nicht die erste Seite des Albums.
Als schwer einsortierbaren Tausendsassa der Brüsseler Undergroundzirkel, der sich sympathischerweise nie ganz zwischen Avantgarde und Pop/Chanson entscheiden kann und daher bevorzugt jeden Song auf zahlreiche Abwege führt, ohne eine gewisse beswingte Coolness und Leichtigkeite außer acht zu lassen, toppt Parle Grand Canard das schon ausgezeichnete Vorgängeralbum St-Homard sogar noch.

Nur die turbulente und chaotische Zeit des letzten Jahrhunderts, die in der Stunde Null mündete und danach in den 1950er- und 1960er Jahren ein beinahe irrationales Aufbruchdenken bewirkte, das auch den Künstlern Platz zum Experimentieren und Visionen umsetzen einräumte (Donaueschingen, Weltausstellung Brüssel, John Cage Shock Tokyo etc.), konnte einen Werdegang wie den von Pierre Barouh in die Wege leiten.
In der Zeit der Naziokupation wurden er und seine Geschwister von seinen Eltern von der Periferie von Paris in die Provinz geschickt, wo ein Untertauchen eher möglich war.
Nach dem Krieg arbeitete Bourouh als Sportjournalist und war selbst aktiver Volleyballer, bevor er dann ins Schauspielfach überwechselte und gleichzeitig die Musik entdeckte. In Portugal kam er in Kontakt mit brasilianischen Exilanten und begann sich für Bossa Nova zu begeistern. In einer erworbenen Mühle in Vendée richtete er ein Tonstudio ein und gründete das legendär werdende Saravah – Label, das neben den ersten Platten von Brigitte Fontaine oder Jaques Higelin, vor allem auch experimentellen Jazz wie Platten von Steve Lacy und Bossa Nova-Künstlern wie Nana Vasconcelos veröffentlichte.
Selbst komponierte Pierre Barouh auch. Nach seinem Erfolg mit dem Titellied für Claude Lelouchs gleichnamigen Film Un Homme Et Une Femme – ein Duett mit Nicole Croisille – sind neben Filmmusiken und der Beteiligung an Theaterstücken, vor allem die nach der Heirat mit der japanischen Malerin Atsuko Ushioda in Tokio entstandene Musik interessant.

Das nun vom Genfer Label WRWTFWW Records, das auch schon die grandiose Vanity Records Box zugänglich machte, wiederveröffentlichte Kultalbum von 1982 Le Pollen ist ein Meilenstein dieser Zeit und symbolisiert vielleicht unbewusst das Ende einer Ära des optimistischen Fortschrittsdenkens. Die Zeiten wurden wieder angespannter. Die Beteiligung der Arbeiterschaft am Wirtschaftswunder und Wohlstand wurde radikal gekappt und die neoliberalistischen Ideen begannen sich zu konkretisieren; der Kalte Krieg wurde zunehmend heißer und bedrohlicher.
zelebriert allerdings nochmals auf zugängliche Art den Eklektismus und die Neugierde für andere Kulturen. In Tokio mit einer exquisiten Schar von Vertretern der Jazz- und Elektronikszene (Toshinori Kondo, Keeichi Suzuki, Ryuichi Sakamoto uvm.) und Gästen (David Sylvian, Harumi Ohzora, Nanako Satoh) eingespielt, wirken die Songs unnachahmbar cool und intelligent. Typisch japanisch ohne Scheuklappen, ungeniert Genres wie Chanson, Ambient, Minimalism, Jazz oder gar Reaggae wechselnd, liegt über der loungig wirkenden Atomosphäre der Musik ein Versprechen von europäischer Melancholie.

http://www.objetdisque.org

http://www.wereleasewhateverthefuckwewantrecords.bandcamp.com

 

 

 

Phew

September 11th, 2017

Phew – Pass No Past

Für die japanische Sängerin und Musikerin Phew sind lange Perioden des künstlerisch öffentlich nicht  ‘In – Erscheinung – Tretens ‘ nichts Außergewöhnliches.
Momentan kann man sich aber gerade wieder an regelmäßigeren Lebenszeichen erfreuen. Mit dem Solo-Album A New World und der gerade erschienenen Kompilation von home recordings Light Sleep schlägt Phew zudem auch wieder eine neue musikalische Richtung ein, die – analoge Elektronik und Stimmexperimente verbindend – zu den aufregensten Ergebnissen ihres Schaffens führt: weitgehendst instrumentale Musik; ungemein dichte Kompositionen, die sich vom meisten Vergleichbaren in Qualität und Konsequenz abheben. Auch scheint sich Phew nun als Solokünstlerin, die ihre Musik alleine in langen Jamssessions entstehen lässt, zu definieren. Die erste Platte – Aunt Sally – erschien 1979; es hat also etwas gedauert.

Phew @ Walcheturm Zurich

Man kann Phew darüber hinaus auch dieses Jahr vereinzelt auf europäischen Bühnen sehen.

Von einem Programm wie dem des Cave 12 in Genf kann man in anderen Städten dieser Größe wohl nur träumen. Die kleine Crew, die sich dem musikalisch Abseitigen widmet, musste über die Jahre mehrmals umziehen, aber jetzt, unmittelbar neben einer Tiefgarage in Servette lokalisiert, scheint man den idealen Ort gefunden zu haben. Man muss nun wohl auch nicht mehr befürchten, wegen Ruhestörung belangt zu werden. Es finden vielleicht 100 Zuschauer zwischen der kleinen Bühne, der Bar, einem Plattenstand und Sofa Platz.

Eine kurze Verbeugung, dann stellt Phew die elektronischen Unikate auf dem Tisch vor sich auf “on” und katapultiert die Zuhörer in ein Paralleluniversum, aus dem sie für eine Stunde niemanden entkommen läßt.
Verspielt und nervig grooven und klimpern piepsige, vermeintlich billige achziger Jahre – Computerspiele, die sich mit Martin Rev’schen Minimalismus paaren die Tonleiter hoch und runter. Darüber legt Phew nach und nach einen schweren, dunklen Mantel Klangmaterie. Gegen Widerstände, die wie starke Gegenwinde das Fortkommen erschweren, kämpft man sich durch den klanglichen outer/inner space. Schichten legen sich über Schichten und die hin und wieder durchscheinende Stimme Phews trägt einen, durch diese Verlorenheit und Einsamkeit ausstrahlende Raum – und Zeitlosigkeit. Tief, brodelnd und zerbrechlich, aber andererseits messerscharf ist Phews Musik, der kein Prozent von Hippietum innewohnt. Hier haben wir es mit Sci-Fi-Punk zu tun, andersweitige/weltliche Musik, die von einer Meisterin ihres Fachs gestaltet wird. Keine Schönheit ohne Gefahr, das zumindest suggeriert diese nicht fass- und einsortierbare Musik immer wieder aufs Neue. Man kann sich fallen lassen, aber wehe dem. Zum Finale, wenn die Atari-Riots abebnen und die Schlaufen der Elektronik für einen kurzen Moment einer kurzen, zarten Gesangsmelodie weichen, bevor der Gerätepark, der bei Phew nur als Mittel zum Zweck genutzt wird, dann ganz abgeschaltet wird, werden wir, etwas sprach- und ratlos, in die Realität zurückversetzt.

Phews Stimme – für japanische Ohren zu tief, was noch in den Achzigern so etwas wie ein Skandal auslösen konnte und scheinbar jeglichen Affekt/Effekt vermeidend – ist gleichwohl ihr wiedererkennbares Markenzeichen. Im Gegensatz zu vielen anderen Sprachen ist es schwer in der japanischen Sprache zu singen, die abgeflacht und wenig akzenturiert klingt. Will man nicht in das Kindliche vieler J-Pop-Stars verfallen, muss man nach anderen Lösungen suchen und sich positionieren.

Eine vielleicht typisch Geschichte, die so nur in Nippon stattfinden kann: Als der Teenager Hiromi Moritani aus Osaka, der sich wenig später den Künstlernamen Phew zulegen wird, die Sex Pistols im heimischen Fernsehen sieht, ist es um ihn geschehen. Dann aber – und das macht die Geschichte zu einer japanischen – kauft sich die 17-Jährige nicht nur die ersten Singles, sondern fliegt kurzerhand alleine nach London, sieht McLarens Konzeptband live, kehrt in ihre Heimatstadt zurück und gründet mit ihrer Bekannten Bikke die erste von jungen Frauen dominierte Punkband in Japan. Die damit einhergehende Haltung und Kompromisslogikeit in Bezug auf ihre künstlerische Freiheit, auch wenn es später um Karrierechancen im Musikbusiness gehen soll, wird sie nie mehr ablegen.
Das Album von Aunt Sally wird 1978 aufgenommen und erscheint 1979. Von Keyboards, Gitarre und natürlich der Stimme Phews geprägt, beschwört die Platte nicht den Old-School-Punk, orientiert sich eher an Bands wie den Slits, Delta 5 und Post-Punk im allgemeinen. Live covert die Band auch einschlägige Songs und macht sie zu etwas Eigenem. Kurz nach diesem Ausrufezeichen für die japanische Gegenkultur löst sie die Band aber schon wieder auf. Punk ist für Phew nach dem Ende der Sex Pistols Schnee von gestern. Sie schlägt eine andere Richtung ein: Zuerst nimmt sie mit dem schon damals Superstarstatus genießenden Ryuichi Sakamoto eine Single auf (Finale), um sich danach auf die Musik zu konzentrieren, die sie schon vor der Punk-Explosion hört: Kraftwerk und Can. Vor allem Future Days von Can ist für Phew eine essentielle Platte.

Ähnlich spontan wie ihr London-Trip fliegt sie nach Deutschland, um im Studio von Conny Plank mit Holger Czukay und Jaki Liebezeit (all R.I.P.) ihr Solo-Debut-Album einzuspielen. Wie sie in einem raren Interview mit dem The Wire-Magazin erzählt, ist sie von der Professionalität und Bescheidenheit der Musiker – ganz im Gegensatz zur japanischen Szene (sic) – beeindruckt. Ohne Stücke konkret vorbereitet zu haben, habe sie in diesem Umfeld das Jammen und Improvisieren gelernt. Das Ergebnis ist beeindruckend. Trotz den großen Namen ist es die starke Präzenz Phews, die die Songs trägt. Mit Doze, Aqua oder Circuit findet man einige Klassiker auf dem Album. (Die Geschichte der europäischen Veröffentlichung dieses Meilensteins findet sich hier)
1991 sollte sie nochmals in Deutschland aufnehmen. Our Likeness – wieder mit Jaki Liebezeit und – diesesmal –  A. Hacke von den Neubauten, T. Stern und Chrislo Haas eingespielt, fällt gegenüber dem Debut etwas ab, aber die Art wie Haas Musik live komponiert ohne sein Ego in den Vordergrund zu stellen oder sich zu verlieren, übt einen großen Einfluss auf Phew aus.
Zwischen den beiden deutschen Platten entsteht 1987 mit japanischen Musikern das Album View: Unterkühlte Balladen wechseln sich mit schneidend-punkigen Elektrosongs ab.
Danach scheint sich die Karriere von Phew zu verflüchtigen, obwohl sie in Tokio einen sagenumwobenden Kultstatus besitzt. Zu verzettelt und unkoordiniert ist die japanische Indie-Szene zu dieser Zeit, nicht einfach sich zwischen Hype und Substanz zu entscheiden. Und Phew, noch keine 25 Jahre alt, bleibt ohnehin eine Außenseiterin in Tokio.

Nach einer langen Veröffentlichungspause beginnt sie in den 1990ern einerseits mit unterschiedlich ausgerichteten Musikern zusammenzuarbeiten und veröffentlicht aber auch eine sehr persönliche und von intensiven Songs geprägte EP, die sie kreativ die Ideen der 1980er-Trilogie aufgreifend, in bester Verfassung und reifer präsentiert. Mit dem in New York ebenfalls Kultstatus genießenden Schlagzeuger Anton Fier kommen zwei Platten (Dreamspeed, Blind Light) zustande: Phews Sprechgesang wird mit dem dunklen Knitting Factory – typischen Sound von Fier, Bill Laswell und co unterfüttert.
Phew beteiligt sich in Tokio an Großproduktionen von Otomo Yoshihide (New Jazz Ensemble Dreams – großartiges Album – wo sie sich die Vocals mit Togawa Jun teilt und The Music of Takeo Yamashita).
Mit den beiden Avantgarde-Rockbands um Otomo Yohihide Novo Tono und Himitsu No Knife/Secret Knife nimmt sie zwei – mittlerweile vergriffene und sehr gesuchte – Platten auf und beinfidet sich für einem Moment im Mittelpunkt des tokioter Avantgardeuniversums. Mit dem (Boredoms-) Gitarristen Sei-Ichi Yamamoto wiederum setzt sie mit – Shiawase no-sumika, das wie eine subtile Hommage an den J-Pop klingt einen Kontrapunkt. Mit Yamamoto und der Band Most bezieht sie sich auf mittlerweile drei Alben nochmals musikalisch auf Punk : vorwärtstreibende, direkte kurze Songs, die eine Seite von Phew zeigen, die man so noch nicht kennt.
Big Picture ist ein Album, das 2001 mit Nagashima Hiroyuki und einigen Gästen entsteht und zu den wichtigen Veröffentlichungen in der Diskographie Phews zählt. Samples aus diversen Quellen sind Ausgangsmaterial, um eine eigenwillige Popplatte zu entwicklen, die Gesang, Noise mit Versatzstücken aus J-Pop, Bossa Nova, Folk, Chanson, Beats und Noise mischen.

Danach kommt es wieder zu einer “Ruhephase”.
Five Finger Discount – mit der eingespielten Band um Jim O’Rourke – aufgenommen, lässt 2010 wieder mit einer Songssammlung aufhorchen.
Zusammen mit der Autorin und Mangskünstlerin Erika Kobayashi reagiert Phew auf die Katastrophe von Fukushima auf künstlerische Art. Als Projekt UNDARK illustrieren sie zur Musik von Dieter Moebius (Cluster; nochmals eine Deutschland-Connection) die Geschichte der sogenannten Radium Girls (Radium Girls 2011). Diese waren Fabrikarbeiterinnen in New Jersey, die um 1917 durch eine leuchtende Farbe namens Undark, die in der Zusammensetzung mit Radium versetzt war, vergiftet wurden. Fünf Arbeiterinnen brachten dann ihren Arbeitgeber vor Gericht und erstritten sich ein Grundsatzurteil, das seitdem Arbeitern zugesteht, bei bei der Arbeit erworbenen Krankheiten zu klagen. Wieviel von den ca. 4000 Arbeitern, die mit der Farbe arbeiteten, erkrankten, ist allerdings nicht bekannt.
Phew on bandcamp:

 

Ripples August 2013

August 15th, 2013

Saboten – Floor et Satie

Mit der Wiederveröffentlichung des ersten Saboten-Albums auf Vinyl nach schlappen 31 Jahren ist einer der Meilensteine der damals (wie heute) an Kreativität und Orginalität blühenden japanischen Do It Yourself-Szene endlich wieder erhältlich. Die drei, bzw. vier Frauen sorgten in den Achzigern für einen ganz speziellen Farbtupfer in der an Ungewöhnlichem und Exzentrik nicht armen Post-Punk-Bewegung.

Nachdem japanische Gruppen wie After Dinner oder Wah Ha Ha via Recommended Records London in den Kanon der “Anderen Musik” aufgenommen und einem, überschaubaren, internationalem Avantgardepublikum nähergebracht wurden, und spätenstens der von Fred Frith produzierte Welcome To Dreamland – Sampler (Celluloid) auch uns anfixte, gab es einen kleinen Run auf die sündhaft teuren 12″ Inch-Importe von z.B. Luna Park Ensemble, A-Musik oder eben Saboten, die aber neben der exquisiten Musik dafür auch japanische Verpackungskunst par excellence boten.

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