Out.Fest Barreiro Oktober 2021
October 20th, 2021
Out.Fest: Festival International de Música Exploratória do Barreiro
Das Festival für “Música Exploratória” fand dieses Jahr in zwei Etappen statt. Aufgrund der nach wie vor unsicheren gesundheitlichen Situation und den teilweise damit verbundenen Einreisebeschränkungen wurden sowohl im Juni wie jetzt im Oktober überwiegend einheimische (bzw. europäische) Musiker eingeladen; dem Spirit des Festivals konnte das aber – auch wenn kaum internationales Publikum anreiste – nichts anhaben.
Wie gewohnt stellte das engagierte Team des Kulturvereins Out.Ra auch bei der 17. Edition des Out.Fests ein wagemutiges Programm zusammen, das als einen Schwerpunkt die Musikpionierin für elektronische neue Musik Éliane Radigue in den Mittelpunkt stellte, zudem, wie gewohnt, einen Überblick über das aktuelle musikalische Geschehen der portugiesischen Off-Stream-Szene bot. Auch schon Tradition haben die ungewöhnlichen Auftrittsorte in der ehemaligen Industriestadt Barreiro, die inzwischen auch von vielen Lisboetas, denen die Kapitale zu teuer wird, als Wohnort entdeckt wird. Noch wirkt die Stadt aber wie ein Relikt aus den 1990ern Jahren. Im Kern der Altstadt werden zwar nach und nach Häuser und einige der imposanten Industriebauen restauriert, aber noch ohne Spekulanten Tür und Tor zu öffnen. Als Gegenstück stößt man dann an der Peripherie und im Stadtgebiet rund um die Fähreanlegestelle auf brachliegende Flächen und kaum noch bewohnte Straßenzüge, wo Drogenhandel und Prostitution zu späterer Stunde Einkehr halten und die auch ansonsten wenig einladend sind. Ungeachtet des sich langsam vollziehenden Umbruchs der Stadt, in der, nebenbei bemerkt, sich auch langsam aber spürbar die politische Gewichtung verschiebt und die traditionell starken linken Parteien, getragen durch die Industrie- und Hafenarbeiter, mit dem Niedergang der Zweige an Gewicht verlieren, trifft man in den intakten Wohnquatieren auf eine lebendige kulturelle und politisch engagierte Szene.
Éliane Radigue, inzwischen 89 Jahre alt, hat sich über die Jahrzehnte den Ruf einer Säulenheiligen der elektronischen experimentellen Musik erworben. Dies natürlich in erster Linie aufgrund ihrer bahnbrechenden Stücke, aber auch dadurch, dass sie im Gegensatz zu manch anderen der Avantgarde sich zugehörig fühlenden Musiker immer wieder mit gewohnten Traditionen brach und sich in teils unerwartete Richtungen weiterentwickelte. Nachdem ihr Interesse für “konkrete Töne” Radigue in Paris zu Pierre Schaeffer und Pierre Henry führte, deren Assistentin sie schließlich wurde, komponierte sie dann auch eigene Musique Concrète – Stücke. Als ihre Experimentierfreundigkeit von den Meistern als Abweichung von der “reinen Lehre” kritisiert wurde, wurde sie umso mehr darin bestärkt, ihren eigenen Weg zu gehen. Durch Laurie Spiegel entdeckte sie in New York den Buchla- und ARP-Synthesizer und orientierte sich an der Minimal Music. Die stark vom Buddhismus inspirierten Stücke Adnos I – III, die in einem langen Zeitraum zwischen 1975 – 1983 entstanden, stehen für eine völlig eigenständige musikalische Sprache, die zugleich meditativ wie intensiv wirkt. Die langformatigen Stücke wirken wie in sich ruhende Klangflächen, die subtilen, aber kontinuierlichen Veränderungen geben sich nur allmählich preis. Das andere, große Stück aus dieser Periode – Triologie de la Mort – , eine Meditation über den kontinuierlichen Zyklus von Leben und Tod knüpft direkt an Adnos an.
Seit längerer Zeit konzentriert sich das Schaffen von Éliane Radigue aber auf akustische Stücke, die eng in Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Musikern entstehen und die die Suche nach dem Innern der Töne und ihre unverkennbare musikalische Sprache wieder in eine neue Richtung lenkten.
Beim Out.Fest konnte man nun im Museu Industrial da Baía do Tejo das elektronische Stück Kyema, interpretiert von Caroline Profanter und drei akustische Kompositionen des Occam-Zyklus, darunter eine Erstaufführung, in der Igreja de Santa Maria und gespielt von Julia Eckhardt und Enrico Malatesta (jeweils solo und beim dritten Stück im Duo) hören.
Die Kompostionen Occam IV für Viola und Occam XXVI für Perkussion tasten sich von für das Ohr kaum Wahrnehmbaren langsam und ohne jegliche Dramaturgie vor und bilden durch kleinste musikalische und lautstärkerische Veränderungen fließende, sich überlagernde Klangflächen und Drones. In manchen Momenten kommt einem die klassische japanische Musik, die am Kaiserhof gespielt wurde, Gagaku, die gleichfalls ohne offensichtliche Spannungsmomente ein Gefühl von Starre und Eingefrorenheit heraufbeschwor, in den Sinn.
Vor dem Konzert mit der Musik von Éliane Radigue in der Igreja de Santa Maria konnte man im Amphitheater Paz & Amizade, im fantastischen Stadtpark von Barreiro gelegen, den beiden Perkussionisten João Pais Filipe und Manongo Mujica zuhören und zuschauen, wie sie den musikalischen und kulturellen Bogen zwischen Peru und Portugal, zwischen Folklore und Free Jazz, zwischen abstraktem Rhythmusgeflecht und hypnotischem Innehalten spannten.
Im wundervollen Konzertsaal des “social clubs” Os Franceses, inmitten des verwitterten Hafengeländes von Barreiro versteckt, gab es am Mittwoch die Chance zwei junge, innovative Duos aus dem großen Fundus der experimentellen einheimischen Szene zu hören.
João Almeida und Mariana Dionísio aka LUMP gaben sich äußerst reduktionistisch: Trompete und Gesang bzw. Soundpoetry, das ist es! Was diese Kombination auf dem Papier herzugeben verspricht, löste sie ein. Hörbar vom Jazz und der Improvisation beeinflusst, setzt João Almeida die Töne und Melodietupfer und lässt auch die Leerstellen zur Geltung kommen und Mariana Dionísio experimentiert mit Sprache und Stimme. Das klang manchmal wie die Tonleiter rauf und runter gesungen, dann plötzlich liturgisch und dann wieder, wenn die Trompete sich in das Gebiet der Obertöne vorwagte schlichtweg poetisch und angenehm irritierend.
Filipa Campos und Paulo da Fonseca spielen unter dem etwas kryptischen Namen pä seit 2015 zusammen. Die Metropole Lissabon haben sie vor einiger Zeit mit einer Bleibe auf dem Land getauscht; vielleicht klingen ihre mit analogen Synthesizern und daran angeschlossener Gitarre kreierten Stücke deshalb so organisch. Weich, dynamisch, melodisch, geheimnisvoll kommt einem als Beschreibung für ihre schönen, spektralen Drones in den Sinn, in die man unweigerlich versinken und doch auch die Sinne schärfen kann.
Im Hörsaal der Bibliotéca Municipal in Barreiros Altstadt bläst uns Vasco Alves am nächsten Abend zuerst mit seinem Dudelsack gemäß seiner letzter Veröffentlichung Gaita Contra Computator Obertoniges um die Ohren, was in der Kombination mit zerschredderten Beats aus dem Computer und dadurch, dass sich Alves ständig im Raum hin- und herbewegt und die Akustik verändert dem Genre eine neue reizvolle Nuance hinzufügt.
Adriana João und Pedro Tavares befassen sich außer mit Musik auch intensiv mit Videokunst, Installationen oder Malerei; im Auditório beschränken sie sich aber heute Abend auf die Musik. Mit Piano, Violine und Computer als Gestaltungsmittel spielen sie eine Art nervöse Kammermusik, die durch ständige Brüche und melodische Farbtupfer im Wechsel eine so eigenwillige wie eigenartige, irgendwie abgehoben-verschwurbelte Stimmung zwischen Erde und Himmel imaginiert.
Das outfest-Publikum wäre ganz sicher auch dazu bereit gewesen länger als dreißig Minuten den verschlungenen musikalischen Pfaden von Adriana João und Pedro Tavares zu folgen; auf der Bandcamp-Seite des Lissaboner Labels CD-R lässt sich allerdings das Vergnügen mit dem Erwerb von 6 Ensaios verlängern.
Das Auditório Municipal Augusto Cabrita ist ein modernes multifunktionales Kulturzentrum, das sich auch eine finanziell gebeutelte Stadt wie Barreiro leistet. Im bestuhlten Saal kann man ansonsten Theater, Mainstream-Rock oder den Weihnachtschor auf der Bühne erleben. Freitag und Samstag sind aber an diesen ersten Oktobertagen für kulturelle Exkursionen ganz anderer Art gebucht.
Die Französin Jessica Ekomane, die nun wie mindestens jeder zweite Künstler auch nach Berlin geflüchtet ist, ortet sich musikalisch zwischen Soundinstallationen, die gerne auch quadrophonisch den Raum beschallen, der multidiziplinären Kunst- und der elektronischen Musikszene ein. Liveauftritte können dann auch einmal in ein nächtliches Schlafkonzerten münden. In Barreiro bekommt das Publikum aber ein konzentriertes Programm in Form abstrakter dynamischer elektronischer Klangflächen mit wenigen Beats geboten; eine Musik, die wie die Synthesizermusik von Kara-Lis Coverdale oder die geometrischen, holprigen Achterbahnfahrten von Autechre abstrakt und organisch zugleich wirkt.
Bruno Silva darf sich fast schon als Veteran in der Geschichte der elektronischen Musik in Portugal der letzten Jahrzehnte bezeichnen. Beim Out.Fest trat er auch schon mit seinem ersten Projekt Osso in Barreiro in Erscheinung. Als Serpente und Ondness veröffentlichte er in den letzen Jahren verschiedene Alben, z.B. auf Discrepant Records, die eine ganz eigene Handschrift tragen und auf eine in den Bann ziehende Weise repetive, ungemütliche, verschlungene Beats, melodische musique concète, Samples und Außenaufnahmen fusionieren. Auch als erklärter Freigeist in der Elektroszene darf die Besetzung für den Out.Fest – Auftritt mit den beiden aus der aktiven Free-Jazz/Impro-Szene stammenden Margarida Garcia (Kontrabass) und Pedro Sousa (Saxophon) als gewagt bezeichnet werden. Und so wirkte das Aufeinandertreffen auf der Bühne nach einem starken Beginn, der etwas an die atmosphärisch-dichten “electronic landscapes” von Benjamin Lew und Stephen Brown erinnerte, tatsächlich etwas bemüht und inkompatibel. Die Jazzelemente und mächtigen elektronischen Soundwände Silvas wechselten sich ab oder bliesen zum jeweiligen großen Finale der Stücke, ohne die erhofften magischen Momente zustande zu bringen.
Am letzten Tag es Festivals traf sich im Os Franceses eine kleinere Schar schon um 15.00 Uhr am Nachmitttag, um, diesesmal in einem kleinen Saal und im Dunklen mit der Möglichkeit, sich auf Matratzen auszustrecken, zwei Stunden João Sarnadas’ The Humm zu lauschen. Dieses gewaltige Stück, das sich in zwei Teilen auf vier CDs erstreckt – The Hum und The Humm – ist ein im wahrsten Sinne des Wortes hypnotisches Abtauchen in warme, dronige und kitschfreie subtile musikalische Labyrinthe. Die Töne stehen über einen längeren Zeitraum beinahe starr im Raum. Die Musik, so Sarnadas, entstand in intensiven Sessions über einen kurzen Zeitraum. Der zweite Teil – The Humm – imagniniert einen Spaziergang durch ein verlassenes Porto an einem sehr warmen Tag. Das Stück komponierte Sarandas mit einem Synthesizer und Oszilatoren. João Sarnadas’ Musik ist im Geiste nicht so weit von der, Éliane Radigues entfernt.
Im Parque Paz & Amizade verlängerte um 18.00 Uhr das schwer angesagte Manchester Duo Space Afrika, das vorgibt, die britischen Genres Trip Hop, Dubstep und Post-Punk nochmals zu erneuern, unfreiwillig das Schlaferlebnis am späten Nachmittag. Ihre düsteren Soundscapes passen gut in eine verregnete Manchester Nacht, bei Sonnenschein, gepaart mit dem Naturerlebnis des Parks verblasst das alles zur Loungemusic. Selbst die Fotographen waren dermaßen verzweifelt, dass sie im Publikum nach interessanteren Motiven suchten.
Zum Glück konnte man zum Abschluss der Oktoberausgabe des Out.Fests 2021 im AMAC mit Gustavo Costa und den Glasgowern Still House Plants nochmals aufregendere Töne erwarten.
Costa hat mit einigen anderen Musikern und Weggefährten aus der produktiven Musikszene in Porto in den letzten Jahren das kreative Zentrum Sonoscópia, das zugleich Veranstaltungsort für verquere Musik, Schule, Residenz, Label und vieles mehr ist, aufgebaut. Seine Wurzeln in der Hardcore- und Undergroundszene verleugnete er selbstverständlich auch nicht auf den Veröffentlichungen mit elekro-akustischen – oder auf der kürzlich erschienen Platte Entropies and Mimetic Patterns mit Perkussionsstücken. Entsprechend kurzweilig und grenzüberschreitend gestaltete Costa das Set auf seinem Hausinstrument (Schlagzeug). Klangforschung und Energie, Minimalismus und Drones, Neue Musik und Underground; alles floss in die Stücke ein, ohne bloß konstruiert zu wirken.
Die Still House Plants haben ihre reduktionistische Version von rhythmisch-abgehackten Jazz-Punk – Songs inzwischen nach mehreren Platten und zahlreichen Auftritten perfektioniert, ohne an diesem Konzept scheinbar etwas zu verändern oder zuzufügen zu wollen. Aber warum auch? Der warme Gesang von Jessica Hickie-Kallenbach wirkt als perfekter Kontrapunkt bei den genussvoll ausgereizten repetiven Disharmonien der Songs. Ein schöner Ausklang.
Ripples Juni 2011
June 27th, 2011
Pedro Hestnes (1962-2011)
Mit nur 49 Jahren starb der portugiesische Schauspieler Pedro Hestnes am 20.06.2011 in Lissabon. Hestnes war d a s Gesicht des neuen portugiesischen Kinos seit den 1990er Jahren. Die erste, jugendliche, männliche Identitätsfigur (Inês de Medeiros, Jugendfreundin, die im gleichen Quatier aufwuchs, ist das feminine Pendant), die das lusitanische Kino seit Rui Gomes in Paulo Rochas neorealistischen Klassiker Os Anos Verdes aus den Sechzigern aufzuweisen hatte. Ganz anders als die behäbigen, intellektuellen Gestalten fortgeschrittenen Alters, die in den Filmen De Oliveiras und Monteiros durch die Sujets schleichen, ist Pedro Hestnes intensive Verkörperung des romantischen, stets verschlossenen, fragilen und verletzlichen Heldens, der letztlich immer auch Verlierer ist, von ein anderen, geheimnisvolleren Welt. Sie hat auch weder etwas mit den machohaften Attitüden der Nouvelle Vague – Protagonisten aus den 1960ern noch den nerdigen Typen des Independendkinos der 1990er gemein. Viele Filme, die er mit Regiesseuren wie Pedro Costa, João Botelho, Teresa Villaverde oder João Canijo drehte, spielten auch nicht in urbanen Metropolen und in Bohèmekreisen, sondern in abgeschiedenen, ruralen Landsstrichen. Die meisten der talentierten portugiesischen Filmemacher aus den 1990ern brachten es aus diversen Gründen nicht zu internationalem Ansehen, mit großer Verspätung hat sich einzig Pedro Costa den fragwürdigen (internationalen) Ruf des Geheimtipps unter Cineasten erworben. In seinem Debut O Sangue/Das Blut von 1989, einer geheimnisvollen Familiengeschicht, vom kongenialen Kameramann Martin Schäfer in kontrastreiches monochrom getaucht, wirkt jedes Bild wie ein unterkühltes, unumstößliches Statement. Hestnes brillierte mit Inês de Medeiros in den Hauptrollen. Mit Costa zusammen definierten sie einen neuen Geist im portugiesischen Film, der zwar durchaus Verehrung für die experimentelleren Bereiche der Filmgeschichte zeigen durfte, aber vor allem auch von einem Punkspirit beseelt war. Bevor es Hestnes dann endgültig zum Film zog, studierte er Theater, Architekur und Kunst; er war auch an einigen Theaterproduktionen beteiligt.
Neben O Sangue waren Xavier, Agosto, A Idade Maior, Lobos und Body Rice weitere wichtige Filme des Schauspielers Pedro Hestnes, die man aber außerhalb der portugiesischen Programmkinos höchstens auf Festivals oder im Fernsehen zu sehen bekam. Schon schwer von der Krankheit gezeichnet, arbeitete er bis zuletzt mit der Regisseurin Catarina Ruivo an deren Film Em Segundo Mão /Aus Zweiter Hand.
Nancy Elizabeth und James Blackshaw im Maria Matos
Guitarra Portuguesa und Movimento Perpétuo, die ersten beiden Platten des Fado-Gitarristen Carlos Paredes von 1967 und 71 respektive, werden in einer exklusiven Vinyl-Ausgabe im November auf Drag City wiederveröffentlicht: Ben Chasny aka The Six Organs Of Admittance war seit längerer Zeit von dem portugiesischen Maestro so angetan, dass er sich mit den Labelchefs seit 2005 um die internationalen Rechte bemühte. Ein anderer Meister der Gitarre, der Brite James Blackshaw gastierte für ein rares, gemeinsames Projekt mit Nancy Elizabeth in Lissabon; im, ganz im Gegensatz zu den Erwartungen, modernen, zweckmäßigen Maria Matos Teatro. Blackshaw, der den ersten Teil des Konzertes solo bestritt, bevor es zu einigen Stücken im Duett mit Nancy Elizabeth kam und diese dann den zweiten Part übernahm, ist, wie er bekundete, gleichfalls ein Anhänger Paredes. Seine Musik ist insofern nicht so weit von der Paredes entfernt, als dass sie virtuos, aber nicht angeberisch ist. Sie trägt einen ähnlichen Schimmer Melancholie in sich, ohne im Eigentlichen blue-note zu sein. Ansonsten, so kann man im Programmheft lesen, waren für James Blackshaw John Fahey, Derek Bailey, Robbie Basho und auch die Protagonisten der Minimal Music wie Reich, Charlemagne Palestine oder Pärt in seiner Entwicklung von Bedeutung. Als er um die 20 Jahre alt gewesen sei, habe er entdeckt, dass man mit einer 12-saitigen Gitarre alle Vorlieben und Ideen umsetzen könne: Oberton-Musik, Drones, Minimal Music. Die meist um die zehn Minuten sich entfaltenen Stücke des Abends sind streng durchkomponiert, ohne dass ihnen das anzumerken wäre. Mit einer Leichtigkeit offenbart Blackshaw seine Kunst die ganze Palette atmosphärischer Spannungsebenen in ein Stück unterzubringen.
Nancy Elizabeth veröffentlichte zwei Alben auf dem Leaf-Label. Battle and Victory von 2007 ist ein opulent, exotisch instrumentiertes (weird-) Folk-Album; Wrought Iron von 2010 spürt hingegen mit einer reduzierten Anzahl akustischer Instrumente dem inneren des Tons nach und ist – dies eine Parallele zu James Blackshaw – von Steve Reich und Minimal Music beeinflusst. Offensichtlich werden diese Vorlieben allerdings weniger bei der Instrumentierung als beim Gesang, der Techniken der Choralmusik zitiert und oft repetiven Charakter hat.
Nancy Elizabeth wird oft im Zusammenhang mit Joanna Newsom erwähnt (die Harfe auf der ersten Platte, unorthodoxer Gesangsstil); auf der Bühne des Teatro Maria Matos konnte man allerdings noch eine ganz andere Seite Elizabeths kennenlernen. Die aus Lancashire stammende und in Manchester lebende Musikerin improvisierte an der Gitarre oder am Flügel und sang dazu. Die Setlist ständig umwerfend und die Techniker etwas in Stress versetzend, spielte sie Altes und Neues in ultra-reduzierter Form. Staubtrockener Humor, ein schrilles, ordentliches Maß Exzentrik und professionelle Zerstreutheit, diese Klischees erwartet man von einer Britin, trotzdem ist das, angesichts der beinahe weltumspannenden Gleichförmigkeit des Künstlertyps, immer noch erfrischend. Kammer/Hausmusik, Kunstlied, Anleihen an überlieferte Volkslieder und die avantgardistische Interpretation und die Vermischung von allem passen bei Nancy Elizabeth perfekt zusammen.
British Ghost Stories 3
November 28th, 2010
Richard Skelton – Marking Time
Es sind imaginäre Landschaften, die Richard Skelton mit seiner Musik heraufzubeschwören versucht, aber auch die realen West Pennine Moors in Lancashire, unweit seines Wohnhorts Standish gelegen, hinterlassen ihre Prägungen, die in die Kompositionen miteinfließen. Der wilde, raue, zwischen ruinösen Überbleibseln des Industriezeitalters und zerfurchten Heidelandschaften sich vermischende Nord-Westen Englands ist nicht wirklich mit der Leichtigkeit des Seins in Einklang zu bringen. Obwohl, wie überall, die Zeichen der Zeit unübersehbar sind und sich ausgedehnte Shopping- und Freizeitwüsten am Rande der Städte weiterhin ausbreiten, wirkt diese Gegend zwischen den urbanen Zentren auf den ersten Blick merkwürdig unverbaut. Bei genauerer Betrachtung allerdings lässt sich auch erkennen, dass einen die eigene Wahrnehmung mitunter trügt und eine gewaltige Rückeroberung der ehemaligen Kanäle, Fabrikanlagen und Brachflächen durch die Natur stattfindet.