Ripples Februar 2015: Véronique Vincent und LIO
February 17th, 2015
Ex-Futur versus Des Fleurs Pour Un Camélion
Das Zusammentreffen der intellektuellen Köpfe von Aksak Maboul – Marc Hollander und Vincent Kenis – die auf Onze Danses Pour Combattre La Migraine und Un Peu De L’áme Des Bandits der Imagination freien Lauf ließen und Steve Reich und Satie mit Folklore und World Music, Prog Rock und Free Jazz mit Punk und Kinderlieder kombinierten – mit den notorischen Les Tueurs De La Lune De Miel – deren Musik wiederum aus einem Gebräu aus Rockabilly, Kirmesmarschmusik und Chanson, das irgendwo in den Hinterhöfen Brüssels zusammengerührt wurde, bestand, und deren Auftritte um den charismatisch-grenzwertigen Frontmann Yvon Vromman und seinem Gefolge aus Taxifahrern, einem Koch und professionellen Kartenspielern immer unberechenbar waren – sollte für die Musikhistorie nicht ohne Folgen bleiben.
Beide Formationen waren auf ihre Weise Außenseiter im musikalischen Milieu der Achziger, als der Großstadtsound vor allem nach Synthiepop und Disco klang.
Da Hollander und Kenis (Aksak Maboul) in den gleichen Cafés und Läden verkehrten wie Vromman, Fenerberg und Jacobs (Les Tueurs De La Lune De Miel), lernte man sich kennen, schätzen und dachte bald über ein gemeinsames Projekt nach. Als auch noch Hollanders Freundin Vérnonique Vincent neben dem Malen das Singen für sich entdeckte, reifte die vage Idee zur konkreten: Der Name von Vrommans Band wurde angliziert – The Honeymoon Killers – und Hollander, Kenis und Vincent stiegen mit ein. The Honeymoon Killers erspielten sich mit einem Repertoire aus vertrackten Wavenummern, eckigem Rock’n Roll und imaginärer Ethnomusik, das, logischerweise, von einer ausgeprägten Affinität zum Surrealen geprägt wurde, unter den Anhängern von Avant-Post Punk einen hervorragenden Ruf, vor allem auch im Ausland.
Das Gegenüberstellen zweier so unterschiedlicher Leadfiguren – der manische, überdrehte Vromman und die ätherisch-kühle Vincent, beide ihre jeweiligen Rollen sehr ‘tongue in cheek’ bekleidend, waren so noch in keiner Band zu hören gewesen. Ihr Album auf Crammed ist ein gutes Dokument aus einer Zeit, in der man dem geneigten Hörer noch etwas zumuten konnte.
Nach dem Erscheinen des Debutalbums und ausgiebigen Touren, war als nächster Schritt geplant, gleichzeitig Alben von The Honeymoon Killers und Aksak Maboul zu veröffentlichen. Das, um einerseits den kreativen Überschwang dieser Zeit zu kanalisieren, nebenbei wollte man aber auch etwas Verwirrung stiften. Hollander und Vincent schrieben schon seit längerem zusammmen Stücke, das Projekt Honeymonn Killers platzte dann aber aufgrund “musikalischer Differenzen”, d.h. einem klassischen Egoclash. Vromman wollte die Rolle der Leadfigur auf der Bühne wieder alleine ausfüllen. So wurden auch die Demos und fertigen Stücke von Aksak Maboul, die die Katalognummer 014 trugen, der Öffentlichkeit vorenthalten.
Mit dem etwas sperrigen Titel Veronique Vincent & Aksak Maboul with The Honeymoon Killers – Ex-Futur Album wurden die Songs, ergänzt um einige Alternativ- und Liverversionen nun aber doch noch publik gemacht.
Wie erwähnt, handelt es sich dabei eigentlich um die Stücke, die von Vincent und Hollander über einen längeren Zeitraum zusammen komponiert und aufgenommen wurden. Vincent Kenis, Blaine Reininger, Catherine Jauniaux, Jeannot Gillis, Michel Berckmans oder Alig Fodder bekommt man bei dem einen oder anderen Stück auf dem Album, das auf erstaunliche Art den Zahn der Zeit unbeschadet überstanden hat, auch zu Gehör. Gerade die Skizzenhafigkeit und eine gewisse Unfertigkeit machen einen nicht geringen Teil des Charmes der Musik aus, die das etwas vergessen gegangene Genre des Avant-Pop nochmal um eine handvoll Klassiker bereichert. Véronique Vincents absurd-surreale Texte (wir befinden uns in Brüssel), überzogene Alltagsbetrachtungen, sind schräg und witzig:
Je veux retourner
avant le ventre des mes parents,
Chez les Aborigès
Vivre d’instincts
essentiels et non pas programmés
Chez les Aborigènes,
minés par mes microbes d’Européenne
Et je deviendrai sans doute
une chanteuse australienne
oder
Le troisième personnage caché
Des estampes japnonaises
Le passif aux yeux accrochés
Fait de la scène cette calme döbauchés
Il la corrmpt l’intesife
De son regard en cliché
Il confine les acteurs qui s’y fient
Hollander experimentiert mit Rhythmen und Zitaten aus asiatischer, amerikanischer und afrikanischer ethnologischer Musik und Elektronik, die man ansonsten nur in der Musik ähnlich der Zukunft zugewandter Köpfe wie This Heat oder im experimentellen Dub von On U Sound /African Head Charce zu dieser Zeit hören konnte.
Bei Chez Les Aborigènes singt Vincent mit glockenheller Stimme gegen eine Drumbox an, während eine Melodica orientalische Melodien spielt. Zickig-cool geht es, dem Titel entsprechend, auf Afflux De Luxe zu; Je Pleure Tout Le Temps ist – ironisch – der Chansontradition verpflichtet, die hysterisch-stoische French Pop-Hommage Veronika Winken lässt einerseits an Frances Galles und Françoise Hardys 60’s-Hymnen denken, bricht aber die romantische Intention mit Vincents teutonisch – rollendem R im Refrain, bevor das Stück dann zu neuen Ufern in eine Art Afro-Futurismus ausbricht. Ähnlich Réveillons-Nous, das auch gut auf die erste Aksak Maboul – Platte gepasst hätte. My Kind of Doll trägt die Handschrift von Alig und tönt auch Officer-affin; Les Troisième Personne stellt Michel Berckmans Univers Zero – Oboe, die hier eine osteuropäisch-folkoristische Melodie spielt einer unterkühlten New Wave-Ästhetik entgegen. Zum Ausklang bei den The Aboriginal Variations wird dann sogar gejodelt.
Aus dem Refrain von She Loves You machte man in Frankreich 1963 Yé Yé. Und während die jungen Frauen im Publikum andererorts reihenweise in Ohnmacht fielen, stellten sie sich hier lieber selbst auf die Bühne. Und – obwohl meist von Männern im Hintergrund produziert und gemanagt, eine manipulative Figur wie Gainsbourg sei da nur als berüchtigste genannt – schwang mit ihrem Auftreten und ihrer Musik eine Aufbruchsstimmung mit, die den Mief der Fünfziger ein für allemal vertreiben sollte. Jean-Emmanuel Deluxe widmete dem femininen French Pop der 60’ eine liebevolle Hommage (Yé-Yè Girls, erschienen bei Feralhouse). France Gall, Françoise Hardy, Sylvie Vartan, Brigitte Bardot oder Jane Birkin brachten es zu internationalem Ansehen, andere – Dani, Zouzou, Annie Philippe beispielsweise – blieben ein französisches Phänomen. Grenzgängerisch veranlagte Frauen wie Brigitte Fontaine, Catherine Ribeiro oder Louise Forestier emanzipierten sich schnell vom Genre und fanden jede für sich eine experimentelle Nische.
Wiederum nahmen englische, deutsche oder portugiesische Muttersprachlerinnen – Marianne Faithful, Sandy Shaw, Nico, Astrud Gilberto – plötzlich Stücke in Französisch auf.
In den Siebzigern flaute die Welle ab, bevor dann einige Zeitgenossen des Punks und New Waves die Yé Yé- Mode wieder frech zitierten, aber das Rollenmodel des singenden Mädchens im Minirock endgültig in einen anderen, emanzipatorischen bis androgynen Kontext stellten. Mikado, Kas Product, Jacno & Elli Medeiros seien hier aus dem frankophonen Raum genannt; Stereolab in den Neunzigern und heutzutage darf man die, auf verschiedenen Indie-Labels veröffentlichende, US-Amerikanerin April March als die sprichwörtliche Reinkarnation der Ikonen des Genres betrachten ( und sich zugleich fragen, wo die Ironie geblieben ist).
Wanda Maria Ribeiro Furtado Tavares De Vasconcelos wurde 1960 in Portugal als Tochter einer Philosophiestudentin und eines Medizin studierenden Vaters geboren. Der Großvater war auch Arzt und hatte als Kommunist seine Schwierigkeiten im Salazar-Regime. Da sich die Mutter vom Vater trennte, eine andere Beziehung einging und eine Scheidung praktisch nicht möglich war, ganz abgesehen davon, dass ein freiheitsliebender Mensch im Portugal der Sechziger nicht glücklich werden konnte, flüchteten das Paar mit der sechsjährigen Wanda nach Brüssel.
Später dann waren ihre Eltern, als Linksintellektuelle im Kulturleben der belgischen Hauptstadt engagiert, vom Werdegang ihrer pupertierenden älteren Tochter ersteinmal gehörig vor den Kopf gestoßen, als ihr darstellendes und musikalisches Talent von einem Freund der Familie, dem Musiker Jaques Duvall, sozusagen entdeckt wurde und sie den, von Jean-Claude Forest Kult-Comic Barbarella entlehnten, Künstlernamen LIO annahm.
Le Banana Split wurde von sämtlichen Major-Plattenfirmen in Belgien abgelehnt, dann aber von einer kleinen Firma produziert und plötzlich zu einem Welthit. Und die ironisch-freche Verballhornung von Synthiepop, Eis am Stiel und New Wave hatte eine direkte und offensichtliche Verbindung zur Yé Yé – Bewegung.
Und LIO wurde durch den Massenappeal, den sie ausstrahlte, auch logischerweise in einer ironiebesetzten Zeit zum Kult; eine Coverversion des Stinky Toys-Punkklassikers Amoreux Solitaires als Nachfolgesingle bestärkte diesen Ruf noch zusätzlich.
Es folgten Kontakte zu den Cramps, Blondie, Sparks (die eine englischsprachige Platte produzierten) und John Cale (via dem ZE – Label von Michel Esteban), der einige Songs für das Album Pop Model arrangierte.
Die Zeiten in Brüssel waren chaotisch und LIO startete parallel zur Popstar- eine Filmkarriere, die sie u.a. mit Chantal Akerman, Catherine Breillat und Claude Lelouch zusammen- und in eine ganz andere Szenerie führte, was auch den intellektuellen Anspruch, den ihre Eltern an ihre ältere Tochter stellten, ersteinmal zufriedenstellen konnte.
LIO befreite sich durch das Filmschaffen auch vom Image der Lolita und wagte sich musikalisch in andere Bereiche vor: Can Can, eine Hommage an die Pariser Revuen und den Comic-Künstler Hugo Pratt und eine Zusammenarbeit mit Etienne Daho, für den sie auf dessen großen Hit Weekend in Rome sang, und der wiederum Des Fleurs Pour Un Chaméléon 1991 produzierte, erschienen: Zwei Alben, die zwar noch dem Mainstream verpflichtet und auf die Charts ausgerichtet eingespielt wurden, aber eine eindeutig experimentellere Linie verfolgten. (und sich dementsprechend bescheiden verkauften). Und, neben der Musik und dem Film versuchte sie sich mit einigem Erfolg auch als Designerin.
Wandatta von 1996, eine Zusammenarbeit mit dem Texter Boris Bergman, ist einerseits das persönlichste, konzeptionell und musikalisch das vielleicht auch gewagteste und beste Album von LIO. Eine, abwechselnd opulent-illustrierte, karg-melancholische Platte, ironisch-gebrochen und in seiner phantasievollen musikalischen und collagenhaft zusammengesetzten Songs nicht weit vom verqueren Geist der Honeymoon Killers entfernt. Wandatta ist ein Album, das definitiv auch in den Kanon der frankophonen Pop/Außenseitermusik aufgenommen gehört.
Danach folgte ein Projekt mit Interpretationen von Gedichten von Jaques Prévert (2000), das zeitlose Chanson/Singer-Songwriter-Album Dites Au Prince Charmant (2006), das mit Peter Von Poehl entstand, und ein sehr gutes Album mit der belgischen Indie-Rock’n Roll-Band Phantom (2009): Die späte Antwort auf Lux Interior und Debby Harry; souverän mit einem gehörigen Sixties-Flair und mit der LIO-eigenen Leichtigkeit/Doppelbödigkeit ausgestattet.
Ausflüge in die Fernsehwelt (Jury bei der belgischen Version von Pop Idol, eine Rolle, die sie ziemlich desillusioniert wieder aufgab), weitere Filmrollen (Mariages von Valérie Guignabodet, Lost Signs von Diedier Albert oder La Robe Du Soir von Myriam Aziza z.B.) folgten und 2013 sang sie im Duett mit ihrer jüngeren Schwester Helena Noguerra (die, nebenbei einen ähnlich kunterbunten Werdegang aufzuweisen hat: Schauspielerin, Sängerin und Autorin u.a.) das punkig-überdrehte ‘We have no choice’
Anywhere and anytime
I got this stuck on my mind
Anyhow, any day
Aha
Like a shadow meets the light
Like the evening meets the night
Like tomorrow found today
I will find you on my way
I think of it with no fear
One of us shall disappear
Any day, anyhow
How long will it take from now?
We have no choice
We have no choice
We have no choice
We have no choice
ein Stück auf deren empfehlenswerten Platte Année Zero.