Ripples
June 19th, 2019
Nippon Connection 2019
Snapshots
Rudelkaraoke, Kockkurse, Live-Konzerte, der Kimono – Workshop, eine Nudelbar oder aber auch eine Einführung in die Untertitelung von japanischen Filmen, egal, alle Tickets waren bei der 19. Ausgabe der Nippon Connection mehr oder weniger in kürzester Zeit vergriffen. Und nicht viel anders sah es – beruhigenderweise – beim eigentlichen Business des sich über sechs Tage erstreckenden Festivals aus: um die hundert neue Produktionen wurden im Mousonturm, der Naxoshalle, dem Mal Sehn’ Kino und ein Retroprogramm mit Filmen mit der Schauspielerin Ayako Wakao im Deutschen Filmmuseum gezeigt. Japanische Filme sind in den westeuropäischen Großstädten inzwischen hip, finden demnach auch vermehrt den Weg in die Programmkinos und das ist ohne Zweifel das Verdienst der immer noch weitgehend ehrenamtlich tätigen Crew von Nippon Connection.
Als übergeordnetes Thema hat man sich dieses Jahr auf Außenseiter geeinigt. Und das kommt nicht von ungefähr, ist es doch um den kollektivistischen Gedanken des japanischen Volkes auch schon besser gestanden. Zunehmend werden Einflüsse und Probleme aus dem Ausland absorbiert – Überalterung, Vereinsamung, die Sehnsucht aus dem Hamsterrad auszubrechen, die Zunahme der psychischen Krankheiten – sind Themen, die auch in den Filmen zum tragen kommen.
Die ungemein erfolgreichen Großproduktionen der Marke Herz-Schmerz-Geschichten sind weiter unter der Rubrik Nippon Cinema zusammengefasst, die experimentelleren Varianten kann man in der Naxoshalle unter dem Banner Nippon Visions sehen. Tradition beim Festival haben natürlich auch die Anime-Filme und als neue Rubrik hat man dieses Jahr Nippon Docs – Dokumentarfilme – eingeführt.
Den Nippon Cinema Award gewann Hideki Takeuchis Fly Me To The Saltama, eine mit einer ordentlichen Portion Kitsch garnierte, überdrehte Komödie, gekonnt inszeniert und genau nach dem Erfolgsrezept konstruiert, um einen großen Publikumshit zu landen und die Zuschauer so zu rühren, dass die Taschentücher bemüht werden. Andere, ähnlich gestrickte, Mainstreamproduktionen wie Asako I & II von Ryusuke Hamaguchi, Marriage Hunting Beauty von Akiko Oku oder Room Laundering von Kenji Katagiri wären auch würdige Preisträger in dieser Hinsicht gewesen. Den Nippon Visions Audience Award sicherte sich Seiji Tanaka mit seiner zwischen Gangster- und Slackermovie angelegten Geschichte um die bizarre Verbindung von zwei Arbeitskollegen in einem Badehaus: der eine Auftragskiller, der andere gerade von der Uni abgegangen und aufgrund keines besseren Jobangebots hier gelandet.
Die Jury entschied sich für Sea von Kensei Takahashi als Preisträger und für einen wesentlichen ernsteren Film über einen jungendlichen Außenseiter, der eine Vergewaltigung einer Klassenkameradin in der Schule beobachtet und Jahre danach erneut mit der Situation konfrontiert wird.
Den Doc Award gewann Ian Thomas Ash für Sending Off, einem Film über ein Hospiz auf Rädern.
Hirobumi Watanabes Life Finds A Way knüpft an sein Debüt And The Mud Ship Sails Away an. Lakonisch, schwarz-humorig wird der vermeintlich unaufgeregte Alltag des Protagonisten beschrieben, der scheinbar keine größeren Ambitionen hat, außer Weggefährten den einen oder anderen Seitenhieb auszuteilen und unter einem saftigen Kreativstau leidet. Diesesmal ist der Außenseiterheld Watanabe selbst: Die Tage vertrödelnd, seine Umwelt mit Monologen nervend und anstatt an seinem neuen Film zu arbeiten, vor dem Fernseher und der Fußball- WM versackend, bleibt er mit diesem selbst-ironischen Film seiner Linie treu. Zweifellos in der Tradition von US-amerikanischen Regisseueren wie Jarmush oder Korine stehend, ist er hier um einiges bissiger – und vor allem komischer – als seine in die Jahre gekommenen Vorbilder.
Vom Skip City – Festival, das in Saitama seit 2004 stattfindet und sein Programm jungen Talenten widmet konnte man zwei starke (Kurzfilm-) Beiträge sehen, die Frauenfiguren in den Mittelpunkt stellten. Who Knows About My Life von Teppei Isobe und She Is Alone von Akiko Ashizawa, das ein beunruhigendes Bild vom Schulwesen in Japan heraufbeschwörte, wo Suizidversuche, Selbstverletzungen, Erpressung und Manipulation an der Tagesordnung sind.
And Your Bird Can Sing von Sho Miyake, eine im sommerlichen Hokaido angesiedelte Dreiecksgeschichte, überzeugte durch die starken Schauspielerleistungen: die federleichte, trotzdem mit einer Prise Melancholie unterlegte Geschichte nach einem Roman von Yasushi Sato handelt von drei Mittzwanzigern, die versuchen, den Leistungsdruck und die Erwartungshaltung der Gesellschaft noch etwas aufzuschieben. Anstatt Karriere zu machen, ziehen sie lieber durch die Clubs, verlieben sich und halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser.
Blue Hour von Ryuto Kondo ist ein weiterer sympathischer Film über zwei Freundinnen, die im Japan von 2019 versuchen mit langweiligen Jobs, Beziehungskrisen und das – glücklose – Verdrängen der Vergangenheit und Herkunft zurande zu kommen. In einer spontanen Reise aus dem Moloch in die Provinz zu ihrer Familie wird Sunada von ihrer Freundin begleitet und in ihr Leben, von dem sie vielleicht einst geflüchtet war, zurückkatapultiert. Eine hübsche Momentaufnahme und eine Geschichte, die auch sonstwo in der Welt hätte angesiedelt sein können.
Kazuya Shiraishi widmet Koji Wakamatsu, einem, neben Masao Adachi und Haruhiko Arai, der wichtigsten Außsenseiter und Undergroundfilmer, die sich zwischen Trash und politischer Agitation bewegten, der Sechziger in Tokio, seinen neuen Film Dare To Stop Us. Erzählt wird das alles alerdings aus der Sicht vom Megumi, eine der wenigen Frauen im Business, die sich die Anerkennung im Männerbund hart erarbeiten musste (und sich aufgrund einer Schwangerschaft suizidierte).
Kosai Sekine, geboren 1976, ist ein vielseitiger Regisseur. Neben Werbefilmen und Musikvideos widmet er sich dem Dokumentarfilm und neuerdings dem Spielfilm. Tower of The Sun, das anlässlich der Weltausstellung von 1970 in Osaka erstellte Kunstwerk von Taro Okamoto dient dem ehemaligen Philosophiestudenten Sekine als Ausgangspunkt zu einem filmischen Essay über die Geschichte und Kultur Japans. Durch Interviews mit Künstlern und Geisteswissenschaftler nähert er sich dem Schaffen Okamotos an.
In seinem beklemmenden Langfilmdebut Love At Least thematisiert er die in der öffentlichen Wahrnehmung verdrängte und drastisch zunehmende Anzahl von Menschen, die psychisch erkranken. Am ehesten werden Depressionen, Psychosen und eine Unkompatibilität mit der ständig zunehmenden Leistungsdruck mit Metaphern des Übersinnlichen und Spukhaften erklärt. Der instabilen, hypersenssiblen Yasuku – und auch, wie sich herausstellt, ihrem scheinbar funktionierenden Freund/Weggefährte Tsunaki – gelingt es nicht die an sie gerichteten und ihren eigenen Erwartungen gerecht zu werden. Die Versuche können nur in einer Eskalaltion und dem Abbruch der Beziehung zur Außenwelt enden.