Millenium People
December 25th, 2018
Marianna Simnett : Blood In My Milk &
Claire Denis : High Life
Die Filmarbeiten und die stark von den Aktionisten und der Konzeptkunst beeinflussten Performances von COUM Transmissions waren in den 1970er auf eine permanente Grenzüberschreitung und Provokation hin ausgerichtet. Anzeigen und Auftrittsverbote waren einkalkuliert. Mit der Gründung von Throbbing Gristle und deren Gewichtung auf Musik und Medien führten die Hauptprotagonisten von COUM ihr Konzept, dessen Inhalt auch zu einem nicht zu unterschätzendem Teil dem Aufkommen von Punk geschuldet war, in eine subtilere, verfeinerte, aber inhaltlich nicht minder perfide Richtung.
Die Auftritte von Throbbing Gristle waren für das Publikum immer ein Erlebnis am Rande des Zumutbaren bzw. gingen darüber hinaus. Ein Film wie zum Beispiel Cease To Exist, der die scheinbar wehrlos über sich ergehen lassende Kastration eines Mannes (Chris Carter) durch eine Frau (Cosey Fanni Tutti) in klinisch-nüchternen Bildern zeigt und mit einer Art Snuff-Movie-Ästhetik spielt, sorgte in der Kombination mit den pochenden, psychoakustischen Soundgebilden der Gruppe dafür, dass es Zu-/Hörern/Schauern zum Teil übel wurde oder sie fluchtartig den Saal verließen. Dabei ging es der Gruppe nicht alleine um den Schockeffekt, sondern vor allem auch darum, die Manipulation und Vertuschung von unangenehmen Warhheiten ans Licht zu bringen. Und dazu gehörten eben auch vor allem die dunklen Seiten des menschlichen Zusammenlebens (Krieg, KZ, (Macht-) Missbrauch) zu thematisieren. Heutzutage kaum mehr vorstellbar, war es damals nur über die mysteriösen Wege der Counterculture möglich, ensprechende Information zu bekommen. (dafür ist es mittlerweile die große Kunst wahre und unwahre Informationen einordnen zu können). Theoretisch gefüttert und inspiriert von Burroughs, Baudrillard und Ballard, die, ihrer Zeit voraus, schon Anfang der 1970er die verwaltete, überwachte und manipulative Welt vorwegnahmen und analysierten.
All das kann einem in den Sinn kommen, wenn man Marianna Simnetts Film/Videoarbeiten sieht, die in einer Kompilation von 75 Minuten im MMK Zollamt Frankfurt zu sehen sind und die die Grenze zwischen Realtität und Fiktion vage erscheinen lassen, mit manigfachen Urängsten spielen und immer wieder verdeckte und offensichtliche Machtstrukturen aufzeigen. Nicht zuletzt stellt sich auch hier wieder die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Informationen. Laut Reviews führte das Betrachten ihrer Filme bei einigen Zuschauern/Museumsbesuchern in den USA – ähnlich wie bei denen von COUM Transmissions – teilweise zu körperlichen wie psychischen Reaktionen. Simnett, die eigentlich von der Musik herkommt, lässt diese Affininität in der Art wie sie ihre Filme komponiert deutlich werden: Ihre (Laien-) Darsteller trällern plötzlich, inmitten ihrer, teils surrealen, teils kruden Tätigkeiten, an Kinderreime angelehnte Liedern mit kommentierenden und irritierenden Refrains, die abstrakt – poetisch, eine latent beunruhigende Stimmung heraufbeschwören.
Mit dem gleichen Effekt setzt Simnett auch Hintergrundsmusik ein. Die Künstlerin ist bekannt dafür, dass sie für ihre Arbeiten ausgiebige Recherchen betreibt. Die Protagonisten – Bauern, Ärzte, Wissenschaftler, Schüler usw. – berichten von ihren Tätigkeiten in einem knorztrockenen Fachjargon, ähnlich wie in einem Manual. Dabei vermischen sich Fakten und Erfindung. Wer weiss schon ohne Nachforschung zu betreiben ob das Nervensystem einer Kakerlake tatsächlich so wie berichtet mittels futuristisch anmutenden Gerätschaften, die dem Tier auf den Rücken montiert werden, manipuliert werden kann, so dass es zu einem Roboter mutiert und dem Menschen bei Notfallsituationen wie dem Einsturz eines Gebäudes dienlich sei kann. Und wer weiss schon, ob eine Kakerlake keinen Schmerz verspürt.
Die Ärzte, die einer Schar verwahrloster Schüler oder Patienten, in einem Hospital eine fragwürdige Substanz in den Hals spritzen, um sie mental wieder in die Spur zu bringen, lassen die Probanden Reime nachsprechen, um sie zu entspannen und verhalten sich bei ihrer nüchtern-kalten Tätigkeit ausgesprochen empathisch, was noch befremdlicher wirkt. Der Hintergrund zu dieser Episode: Marianna Simnett hat sich, um eine tiefere Stimme für ihre vorherige Musikkarriere zu bekommen vor Jahren überzeugen lassen, sich Botox spritzen zu lassen. Einem Kind auf dem Lande wird vermittelt, dass es aufgrund seiner Schönheit nicht mehr alleine draußen spielen darf. Darauf unterzieht sie sich einer Nasenoperation, um diesen “Makel” zu beheben. Wieder wird sie von einer Ärztin freundlich und aufklärerisch bei dem Eingriff begleitet, ohne dass Sinn und Zweck in Frage gestellt werden. Auch bei dem sogenannten minimalen invasivem Eingriff – Minimal invasive, he says / The regret of crossing my legs – , um eine Krampfader zu entfernen, bei deren Prozedur sich die Protagonistin immer wieder selbst vorwirft, hätte ich nur nicht meine Beine übereingeschlagen, spürt man dieses Ausgeliefertsein in der scheinbar freundlichen Atmosphäre eines Krankenhauses – And they keep returning / The veins that I complain about hurting.
Der Farmer – mit Sprachfehler – berichtet zu den ungesund aufgeladenen Bildern von Kuheutern über Entzündungen und über die komplexen Produktionsprozesse von Milch, während in einem Gegenschnitt immer wieder der Konsum des Produkts als Lebensmittel angesprochen wird. Und das Mädchen insistiert operiert zu werden – Mastitus mastitis /My mammary gland is in pain/ Chastity, chastity/ Give me the strength to abstain/ Mastitis mastitis/I’m swollen, so sore and inflamed/Chastity, chastity/Chastity is my refrain –.
In einer verlassenen wirkenden Fabriklandschaft trifft eine Besucherin/die Künstlerin selbst in einer Laborlandschaft wieder auf Wissenschaftler.
Claire Denis’ aufgrund der Finanzierbarkeit lange nicht realisierte Science Fiction – Parabel High Life transportiert all ihre obsessiven Themen ins Weltall und in die Zukunft. (Männer-) Bünde beschäftigen sich mit ihren Ritualen in künstlichen oder konstruierten Extremsituationen, Konflikt- und Kommunikationsunfähigkeit sind der Normalfall, eine entfremdete Sexualität und Gewalt als Ausdrucksmittel sind gescheiterte Lösungsversuche um auf diesen Mangel zu reagieren; gestörte Persönlichkeiten, die sich letztenendlich in ihrer Einsamkeit verlieren, weil sie bindungsunfähig bleiben.
Die Außenseitergruppe, in diesem Fall eine Strafkolonie, die das Angebot einer angeblichen Hafterleichterung akzeptiert, unter der Bedingung, sich für ein Experiment im Weltall zu Verfügung zu stellen, scheitert nicht nur aufgrund dessen, dass das Raumschiff ohne ihr Wissen einem Schwarzen Loch entgegenfliegt, sondern auch deswegen, weil die Egos größer sind als die Bereitschaft das Überleben durch Empathie und ein Zusammenwirken zu sichern. In einem an sowjetische Sci-Fi – Klassiker wie Tarkovski erinnerndes Design ist die zwischenmenschliche Kälte förmlich spürbar, die trotzdem allgegenwärtige Sexualität mechanisch, in einer merkwürdigen Kapsel gibt man sich mit Hilfe seltsamer Gerätschaften der Selbstbefriedigung hin, ein geplanter Vergewaltigungsversuch endet mit dem Tod des Angreifers. In dem nicht linear, mit vielen Lücken konstruierten Erzählstrang bleibt letzlich vieles offen, die Weiten des Alls sind tiefschwarz, die Verlorenheit ist grenzenlos und die Hoffnung inexistent.
Juliette Binoche gibt die zwanghafte Wissenschaftlerin, die nicht nur den Sträflingen Medikamente verpasst, die sie scheinbar ohne Widerstand täglich einnehmen, sondern auch von der Idee getrieben ist, auf dem Raumschiff Nachwuchs zu zeugen, wofür sie auch bereit ist, den sich dem Sexuellen aufgrund neurotischen Ängsten entziehenden Monte (Robert Pattinson)in einer surreal anmutenden Szene sozusagen seines Samens zu berauben und mit diesem die spröde Boyse (Mia Goth) zu befruchten.
Letzlich bleiben nur Monte und dessen im Weltall geborenen Tochter Williow (Jessie Ross) am Leben und es ist klar, dass sie weder die Erde noch jemals andere Menschen sehen werden. Zum Schluss des Filmes ist Willow zum Teenager herangewachsen und mit der Frage an seine Tochter “Shall we?’ , bevor sie nach dem Öffnen der Raumschifftüre in das gleißenden gelbe Licht von Olafur Eliassons Installation abtauchen, endet High Life. Suizid oder Inzest? Oder eine Parallele zu Olivier Assayas Personal Shopper, der die Frage nach einem Leben nach dem Tod oder des Verschwindens in einer weißen Überblendung enden lässt?
Stuart Staples schrieb wieder die Musik und wie schon auf seiner letzten Soloplatte sind seine beklemmend-entrückten Soundscapes von minimalistischer Strenge und Schönheit.