Ripples
October 22nd, 2019
Outfest 2019: Festival Internacional De Música Exploratório Do Barreiro
1994 ist Lissabon Europäische Kulturhauptstadt. Kurz zuvor werden auch das Centro Cultural de Belem und das Culturgest eröffnet. Dort entstehen Laboratorien für die zeigenössichen Künste und die Stadt legt nach und nach das verstaubte Image ab, nur Anlaufpunkt für Nostalgiker zu sein, die sich an der aus der Zeit gefallenen Atmosphäre berauschen. Auch im Jahr 1994 gründet eine handvoll Enthusiasten aus der Alternativkultur im damaligen Ausgehviertel Nummer Eins – Bairro Alto – das Zé Dos Bois (ZDB). In einem Interview mit der Tageszeitung Público blickt Naxto Checa, seines Zeichens künstlerischer Leiter, auf das Vierteljahrhundert zurück und erklärt warum das ZDB mit seiner partizipativen Mitarbeiterstruktur den krassen Wandel des Quatiers, hin zu einer Dienstleistungs- und Vergnügungsgesellschaft, und die schroffen finanziellen Kürzungen im Kultursektor sogar gestärkt bewältigte.
In Portugal existieren nicht viele Plattformen wie das ZDB, das sowohl auf lokale wie globale Tendenzen in der Kultur reagiert und Raum bietet für die Avantgarde, sei es in der Musik, der Kunst, dem Film oder dem Theater. Checa unterstreicht, dass sich auch die Beziehung von Produktion und Künstler verändert habe und es zu fruchtbaren Zusammenarbeiten bei der Realisierung komme und Starallüren obsolet sind. Künstlern wie Dirty Beaches, Grouper und einigen anderen wurde eine Künstlerresidenz offeriert. Daneben wurden Platten von Loosers, Grouper oder Gabirel Fernandini produziert. Die sehr aktive Jazz- und Improvisationsszene von Portugals Hauptstadt gibt sich im Aquarium, dem Konzertraum des ZDB, praktisch die Klinke in die Hand. Schon vor dem großen Immobilienboom konnte die Equipe des ZDB, nachdem man bei der Gründung einen monatlichen Mitgliedsbeitrag festgelegt hatte und damit einen kleinen Raum gemietet hatte, schließlich das heruntergekommene Gebäude in der Nähe, in der Rua de São Paulo, dem ehemaligen Palácio Baronesa de Almeida, kaufen und nach und nach renovieren, so daß man nun trotz gekürzter städtischer Zuschüsse überleben kann.
Über dem Fluss in der sich gerade neu erfindenden Industrie- und Hafenstadt Barreiro sorgt ein anderes Veranstaltungskollektiv dafür, dass die mittelgroße Stadt mit seinen beeindruckenden Gebäuden und der Arbeiterstadtatmosphäre auch als Ort für Undergroundmusik wahrgenommen wird und damit auch kulturell wieder aus seinem Dornröschenschlaf erwacht: Die Assoçiação Cultural Out.Ra.
In verschiedenen Institutionen wie der städtischen Bibliothek oder der Musikschule finden während des Jahres immer wieder herausfordernde Veranstaltungen statt, die auch Zuhörer jenseits des Tejo anziehen. Der Höhepunkt bleibt selbstredend das jeweils im Oktober stattfindende Outfest.
Sechsundzwanzig Konzerte an drei Tagen von Künstlern aus Portugal, Brasilien, Spanien, den USA, Irland, England, Dänemark Schweden, Finnland, Ägypten und Tanzania in ungewöhnlichen Spielstädten, die auch einen wichtigen Teil der Stadtgeschichte repräsentatieren, standen auf dem Programm der sechszehnten Ausgabe: Genres wie Jazz, Rock, Hip Hop, Noise, Punk, Electronica oder Neue Musik vermischen sich und die Grenzen verblassen, so das erklärte Anliegen der Veranstalter.
Am Donnerstag Abend konnte man schon Gabriel Ferrandini mit der Camerata Musicial do Barreiro und Peter Evans in der Igreja Paroquial de Santo André bei intimen Konzerten beiwohnen. Der eigentliche Startschuss des Festivals erfolgte dann am Freitag in einer anderen Kirche, der barocken Igreja da nossa Senhora Rosário: Kali Maloni, die seit längerm in Schweden residierende junge Amerikanerin, die über einem Background von klassischem Gesang und Gitarre zum Orgelspiel fand, improvisierte im ersten Teil ihres außergewöhnlichen Konzertes auf dem Hausinstrument. Im zweiten Part beschallte Malone die Kirche mit ihren, auch hinsichtlich des Lautstärkepegels herausfordernden psychedelisch irrwandelnden Dronegebilden. Meditativ, ohne sich im Raster der Minimal-Music von ähnlich veranlagten Zeitgenossen zu verfangen, erlebte man schon einen der Höhepunkte des Festivals. Oszillierend, dunkel und in ungewöhnliche Richtungen ausbrechend, ist ihre Musik live noch intensiver als z.B. auf ihrem diesjährigen Album The Sacrified Code.
Anschließend fanden sich alle im ADAO, einem ehemaligen Feuerwehrhaus, unweit der Fährestation, das zu einer Künstlerenklava umgewandelt wurde, ein.
Calhau! fühlten sich in dieser Umgebung bestens aufgehoben, kommt doch das Duo aus Porto, das u.a. ein herausragendes Album auf Kraak veröffentlichte, ursprünglich aus der Kunst und ihr musikalischer Output spielt immer mit einer völlig eigenständigen Mixtur aus Sound, Sprache, Performance und Collage. Man fühlt sich angenehmerweise an DDAA erinnert, die eine vergleichbar freie Auffassung von Kunst vertreten. Thematisch arbeiten sich Marta und João aber immer wieder an der katholischen Kirche und anderen kultischen Riten ab. Mit diversen Alltagsgegenständen und tönenden Kunstwerken Marke Eigenbau war auch dieser Auftritt wieder völlig einzigartig. Intensiver Lärm, zerstückelte Wortfetzen, die durch einen akustisch verstärkten Abwasserschlauch gejagt werden und eine am Rande platzierte Pianistin, die die eine oder andere spärliche, aber prägnante, Einlage miteinstreute, lassen einen etwas ratlos, aber intellektuell beflügelt zurück.
Alpha Maid, aka Leisha Thomas & Band aus London, bringen dann das Tanzbein in Schwung, und das selbstverständlich auch mit einer eklektischen Dosis an eigentlich Unvereinbarem: Big Black, Mica Levi, Raster Notion, Mego oder gar Neue Deutsche Welle werden von Thomas als Referenzpunkte genannt und alles tönt zugleich groovig wie zerschreddert. Ilpo Väisänen, ohne seinen verstorbenen Panasonic-Kollegen, auf Solopfaden unterwegs, gab sich anschließend mit einem reduziert, knochig-trockenen Auftritt die Ehre.
Die nicht gerade subtil agierenden Brasilianer von Deaf Kids mit einer Fusion aus Punk, Metall und tribalistischen Elementen waren nicht meine Tasse Tee, dafür sorgte dann das schräge Duo von Tochter und Vater aus Newcastle Yeah You mit einer eigenwilligen Fusion von Home Made Throbbing Gristler und Hip Hop für bloßes Erstaunen.
MCZO und Duke, all the way from Tanzania, legten anschließend einen DJ-Set hin, während ich mich auf die Nachtfähre nach Lissabon begab.
Am Samstag galt es dann, da mehrere Veranstaltungen parallel liefen, die richtigen Entscheidungen zu treffen bzw. in sich zu gehen und den eigenen Affinitäten zu folgen. In der restaurierten Moinho Pequeno, mit Blick auf die Feuchtgebiete und das Meer der Stadt, gab es ein Stelldichein der jungen experimentellen portugiesischen Szene. Bezbog, David Machado (Klarinette, Elektronik etc. ) und Dora Vieira (Melodika, Elektronik etc.)
aus Porto und eng mit dem pulsierenden Kassetten – und CDR-Label Favela Discos verbandelt, machten den Auftakt. Zwischen Obertonmusik, Field Recordings, Free Jazz, Noise und punkigen Ausbrüchen erzeugten sie mit einer höchst eigenwilligen Auswahl an Klangerzeugern ein fesselnde Verbindung aus Stille und Krach, Reduktion und Überschwang. Erstaunlich wie abgeklärt und innovativ die Musik der beiden jungen Musiker schon ist.
Luar Domatrix ist das Projekt von Rodolfo Brito, der einen Hälfte von Yong Yong, einem Duo, das sich zwischenzeitlich in Glasgow niedergelassen hatte und zwei Platten auf dem dortigen Night School – Label veröffentlichte. Brito auf Solopfaden schloss sich mit dem Discrepant – Label kurz, ein weiteres Projekt eines Exil-Portugiesen: Gonçalo F. Cardoso. Er komponiert nun eine weitaus dunklere Musik, die an verschiedene Pioniere des verkopften Industrials – Zoviet France, Nocturnal Emissions etc. – anknüpft und eine subitle exotische Ethno-Note miteinfließen lässt. Die junge Flötistin Violeta Azevedo öffnete die großen verglasten Türen und ließ das Rauschen des Meeres und das Summen der Insekten und Vögel in den zum Konzertsaal umfunktionierten Raum der Mühle hinein. Ihre Musik passt da auch zu gut zum Ambiente. Federleicht ihre Musik, Eno, Delia Derbyshire oder die Kranky-Szene, bekundet die Musikerin, seien wichtige Einflüsse.
Im Teatro Municipal traten das dänische Duo Bryne und die angeblich etwas geheimnisumwobenen Candura aus der Hauptstadt auf, während in der Biblioteca Municipal gleichzeitig ein weiterer Höhepunkt des Festials vonstatten ging: Keith Fullerton-Whitman, sicherlich einer der geschultesten und hellsten Köpfe der elektronischen Avantgarde, tat sich für dieses Auftragsprojekt mit den einheimischen Musikern André Gonçalves, Clothilde und Simão Simões zusammen. Sie setzten den Saal der Bibliothek in eine sanfte Schwingung und führten die Zuhörer auf Abwege durch ihr musikalisch bezauberndes Labyrinth.
Als eine ähnlich veranlagte Künstlerin darf man Magarida Magalhães aka Raw Forest bezeichnen, die ihre gleichermaßen komplex und leicht wirkende Musik, die Ambient als Gegenteil von Minimal auffasst und den Geist Brian Enos mit Cutting Edge Electronica von heute in Verbindung bringt, im Foyer der Bibliothek, präsentierte. Ihre hervorragende Kassette “Post Scriptum” auf dem Labareda Label, einem weiteren wichtigen Mosaikstein der jungen portugiesischen Undergroundszene, gehört zu den Höhepunkten 2019.
Auf dem Marktplatz vermischten sich dann Festivalgänger zwanglos mit zufällig Vorbeikommenden und denjenigen, die den Samstagnachmittag auf dem zentralen Platz mit seinem anschließenden Park genießen. Chão Maior und Davy Kehoe beglügelten zwar nicht zum großen Tanzevent, aber das eine oder andere Wippen war doch zu verzeichnen.
Der große Veranstaltungssaal SIRB und die im Foyer beheimatete grandiose Bar Os Penicheiros war die angemessene Örtlichkeit für den Publikumsandrang am Samstagabend.
James Ferraro, der Konzeptkünstler des Hypnagogoc Pop, ist in letzter Zeit etwas aus dem Fokus verschwunden, während Zeitgenossen wie Daniel Lopatin oder Laurel Halo das Zepter übernommen haben. Die Gründe dafür, könnten sich, nähme man seinen Auftritt als Maßstab, leicht erklären lassen. In permanentem Kunstnebel gehüllt, wirkte seine aktuelle Musik in erster Linie gnadenlos bombastisch und, käme da nicht modernstes Computerequipment zum Einsatz, wie aus einer Zeit, in der ELP, Yes und Jean Michel Jarré uns den Spaß an der elektronischen Musik vergällten. Leider, so das subjektive Fazit, eine redundante Angelegenheit.
Ganz anders da die kettenrauchende und auch ansonsten äußerst agile Ägypterin Nadah El Shazly, die mit ihrer Band eine nahezu perfekte Show und einen Überblick ihrer vertrackten Musik bot. Eine Musik, die mühelos und ohne mit der Wimper zu zucken von der traditionellen Songform zum Free Jazz, vom brüchigen Avantgarde Rock zur kakafonischen Elektronik, vom meditativen Drone zum schroffen Aufschrei wechseln kann. Auch das Instrumentarium vereint verschiedene Welten. Flöten, Oud treffen da auf Kontrabass, Keyboard und Computer. Wichtigstes Element ist aber selbstredend Nadah El Shazlys variationsreiche Gesangskunst, die trotz den traditionellen Bezugspunkten eher von einem Punk-Spirit beseelt scheint und sich in keinster Weise in den World Music- oder Jazzgenres pressen lässt.
El Shazly ist eine wichtige Schlüsselfigur des musikalischen Undergrounds in Kairo, der trotz Einschüchterung scheinbar prächtig gedeiht. Sam Shalabi, der Gitarrist der Band, und Alan Bishop von den Sun City Girls sind ebenfalls in den vergangenen Jahren wichtige Botschafter gewesen, um auch auf eine moderne, freidenkende Seite der arabischen Kultur aufmerksam zu machen.
Die New Yorker Hip Hop-Veteranen Dälek und aka Still folgten dem Auftritt El Shazlys mit Dancefloor-tauglichem Stoff, bevor es dann für die immer noch Tanzwütigen ins Edifício A 4 an den Tejo ging, wo diverse DJ-Sets die Stunden, die von der Nacht übrigblieben, beschallten.