Ripples

August 26th, 2022

Arlt – Turnetable
Midget – Ferme Tes Jolis Cieux

Vor allem in Paris und Brüssel führen die aus verschiedenen alternativen Mikroszenen entsprungenen Protagonisten wie Eloïse Decazes, Sing Sing, Claire Vailler, Mocke, Élg, Délphine Dora und einige mehr die Tradition von vom Surrealismus inspierierten Künstler und schrägen Songschreiber im Geiste von Brigitte Fontaine, Albert Marcoeur oder dem songorientierten Album von Sophie Jausserand und Guigou Chenevier aus dem Etron Fou Leloublan – Umfeld wunderbar fort. Ihre Platten erscheinen auf Labels von mittellosen Überzeugunstätern wie Three:Four, Kraak, Ultra Eczema oder wie Ferme Tes Jolis Cieux von Midget und Turnetable (sic!) von Arlt auf Objet Disque, dem exquisiten Label des Pariser Künstlers und Musikers Rémy Poncet.

Das dritte Album von Midget, nach zweien auf dem We Are Unique – Label – ließ einige Zeit auf sich warten und war, als es dann 2017 veröffentlicht wurde, etwas untergegangen. Clarire Vailler sang zwischen den Alben unter dem Namen Transbluency verhuschte Folk-Songs in Englisch ein; Mocke komponiete zwei Solo-Alben und sein drittes – Parle Grand Canard – eine moderne Suite und ein wahrer Geniestreich, wurde sicherlich von der Kollaboration mit Clarie Vailler inspiriert. Die Ideen für dieses Album lassen sich unschwer schon auf Ferme Tes Jolis Cieux ausmachen. Die Songs verbinden die Vorlieben von Mocke und Vailler zu einem Album voller bizarrer Schönheit und stilvoller Geheimniskrämerei.
Aus der Zeit gefallen wirkt schon einmal das zehnminütige Eröffnungsstück: Premier Soleil klingt wie ein von der Renaissance, der Zwischenzeit zwischen Mittelalter und Neuzeit beeinflusster Geistersong: filigran, morbide, poetisch und auch mal beswingt. Das ganze Album hat einen starken klassischen Musik-Touch, was nicht zuletzt an der Instrumentation mit Flöte, Vibraphon, Mellotron und Cello liegen mag. Disharmonien, Drones und kleine Intermezzos beißen sich elegant mit den von akustischer Gitarre und Piano getragenen Songs.

 

Arlt, die Band von Eloïse Decazes und Sing Sing war ebenfalls aufgrund zahlreicher anderer Projekte für eine Zeit auf Eis gelegt gewesen (Kolloaborationen mit unter anderem Délphine Dora, Eric Chenaux, Stranded Horse, Julien Desailly, Begayer). Ihre neue Platte – Turnetable – ist daher umso mehr eine willkommene Überraschung. Einige Gastmusiker, die zugleich Freunde sind und natürlich auch dem losen Netzwerks der Undergroundmusik von Brüssel und Paris angehören tragen zum ungemein facettenreichen und heterogenen Gesamtbild der Songs bei: Ernest Bergez (Kaumwald, Orgue Agnès), Jérémie Sauvage, Gilles Poizat, Béatrice Terrasse.
Die früheren Alben klangen manchmal wie amerikanische Folksongs auf Französich, Turnetable wirkt dagegen europäischer, surrealer und futuristischer. Die zahlreichen Anleihen an verschiedene Genres lässt die Musik wie eine aus dem Ruder gelaufene Salon- oder Kammermusik klingen. Lässig und sophisticated; schräg und doch eingängig; das ist der Stoff aus die Träume vom perfekten Song sind. Und Eloïse Decazes singt andersweltlich und kosmisch schön über eine Untertasse, die auf einem Hund landet, Oldtimer oder eine kranke Kuh.

Objet Disque