Ripples

January 10th, 2021

Polido – Sabor A Terra / A Casa E Os Cães
Joana Guerra – Chão Vermelho
Drumming GP, Joana Gama, Luís Fernandes – Textures & Lines
Joana Gama – Travels In My Homeland

A Casa E Os Cães ist ein Film von Madalena Fragoso und Magarida Meneses, für die der in der heterogenen Lissaboner Experimentalszene als DJ und Soundkünstler aktive Polido den Soundtrack komponierte. Soundtrack beschreibt auch gut die dramaturgische und erzählend wirkende Musik von Polido, den es nun auch vom Atlantik nach Berlin verschlagen haben soll.

In einer schön gestalteten Box als Doppel-Kassette, zusammen mit einem anderen Album – Sabor A Terra – auf dem Holuzuam-Label erschienen, fließen in den meist ruhigen und eine kühle nächtliche Stimmung ausstrahlenden Stücken unterschiedliche Klangkomponenten und Stile zusammen: Die düsteren Bässe im Geiste der Hyperdub-Gründer geben den idealen Background für die feingesponnenen, geheimnisvoll bis exotischen Klanglandschaften, die Polido mit akustischen, pastellenen Gitarrenminiaturen als Kontrapunkt in Szene setzt. Samples oder Feldaufnahmen, die mit zwei Grundelementen – Wasser und Feuer – spielen, tauchen immer wieder als durchgehendes Thema auf, bei anderen Stücken werden Filmdialoge in jazzaffine Arrangements oder elektroakustische Exkursionen eingebettet.

Auf Joana Gamas vielseitiges musikalische Schaffen wurde in den Mikrowellen schon öfters hingewiesen. Beinahe als Solitär überschreitet die klassisch geschulte Musikerin gerne und scheinbar mit Leichtigkeit die gewöhnlich eng abgesteckten Grenzen der Neuen Musik – und Avantgardegenres.

Ihr klassisches Pianoalbum Travels In My Homeland widmet sich den Werken zweier Komponisten, die sich stark mit der Indentität ihres Heimatlandes Portugal auseinandersetzten: Amílcar Vasques-Dias (1945 geboren) und Fernando Lopes-Graça (1906-1994). Beide Musiker arbeiteten sich in ihren Werken direkt oder in abstrakter Weise an der Vereinnahmung der portugiesischen Kultur durch den Estado Novo ab, dessen bleierndes Regime zu Beginn des musikalischen Schaffens von Lopes-Graça an die Macht kam. Erst zu Beginn der 1970er als Vasques-Dias in den Haag studierte, begann der allumfassende Einfluss zu bröckeln, was schließlich 1974 zur “Nelkenrevolution” führte.
Lopes-Graças Bestreben war es immer, mit seiner Musik einen nationalen kollektiven Geist zu kreieren, der fern von Propaganda und Tourismuskitsch angesiedelt war. So bezieht sich eine nicht unbeachtliche Anzahl seiner Kompositionen auf folkloristische Songs, die, seiner Meinung nach, das Innenleben seiner Landsleute spiegelten. Beeinflusst von Modernisten wie Hindemith, Stravinsky, Schönberg und Bartok stellt seine Musik eine durchaus eigenwillige Verbindung von Avantgarde und Tradition her.
Vasques-Dias wurde zuerst durch Cândido Lima in Porto und dann von Louis Andriessen, Peter Schat und Jan van Vlijmen in den Niederlanden geschult. Seine Vorlieben sind dann auch in der Neuen Musik und bei Xenakis und Stockhausen auszumachen.
Die Gegenüberstellung zweier Komponisten aus unterschiedlichen Generationen mit der gleichen Thematik darf als geglückt bezeichnet werden, gerade auch in der Interpretation von Joana Gama, die vielleicht durch ihr gleichzeitiges Musik- und Balletstudium sowohl Zurückhaltung wie Expressivität in die Pianostücke einbringt.

Auf ein komplett anderes Terrain begibt sie sich mit ihrem schon bei diversen anderen Projekten bewährten musikalischen Partner Luís Fernandes auf dem Album Textures & Lines. Man erinnere sich: Quest (2014) setzte Piano und Electronics in Einklang und Konstrast und lotete mit eigenen Kompositionen den Geist von Cage, Tudor, Satie und Ambient Music aus, nur um diesen in eine neue, zeitgemäße Richtung zu lenken. Auf Harmonies (2016) erweiterte das Duo ihr Konzept dahingehend, dass man zusätzliche Gäste einlud. Mit dem Cellisten Ricardo Jacinto gelang das ebenso auf in den Bann ziehende Weise wie auf dem Album mit dem Orchestra de Guimarães At The Still Point Of The Turning World. Letzteres stellte das “Harmoniekonzept” der vorherigen Alben mit einer ständig in Bewegung und zwischen Disharmonie und Wohlklang pendelnden Musik geistreich in Frage. Bei Textures & Lines nun trafen sich die Perkussion-Formation Drumming GP aus Porto (João Dias, João Miguel Braga Simões und Miquel Bernat) nun mit Gama und Fernandes, um die kleine Serie mit den gedachten Hommagen an die Zen-Meister und Säulenheiligen der Neuen Musik fortzusetzen.

Die vier Kompositonen sind von einem ständigen Herantasten und Experimentieren bestimmt und von ähnlicher, suggestiver Qualität wie die Musik auf den vorherigen Alben. Auf leisen Pfoten daherkommend zaubern Gama, Fernandes und Drumming GP eine Musik, die einerseits nur im Raum zu schweben scheint, sich aber nicht verflüchtig, sondern sich mit hypnotischer Wirkung nachhaltig ins Gedächtnis einpräg. Keine ganz einfache Aufgabe, Schönheit, Experimentiergeist und Dringlichkeit in der Musik wie hier zu vereinen.

 

Joana Guerra ist eine weitere Außenseiterin, die dem Musikkonservatorium entsprungen ist, aber eine unkonventionelle Laufbahn einschlug. Die gelernte Cellistin ist fester Bestandteil der freien Improvisationsszene in Lissabon, spielt aber auch in zahlreichen Bands mit, von Free Folk-Formationen bis zu psychedelischen Rockbands. Als Solokünstlerin legt sie nun mit Chão Vermelho ein neues Album vor, dass wie schon der Vorgänger Cavalos Vapor thematisch tief in die archaischen und zwischenweltlich angehauchten Begebenheiten des Lebens außerhalb der urbanen Zentren eintaucht. Ihren Wohnort verlegte sie von der portugiesischen Hauptstadt in das Hinterland von Torres Vedra, früher geprägt von Porellan- und Ziegelfabriken.

Dies ist eine raue und spröde Landschaft, die sich bei starkem Regen scheinbar durch die Hinterlassenschaften rot einfärbt und eine mit Rinnsalen, Rissen und Kratern durchzogene Wüste entstehen lässt. Eine Metamorphose, ein Spiegelbild für eine Natur im Ausnahmezustand, die Joana Guerra so beeindruckte, dass sie ein Konzeptalbum über diese intensive und suggestive Landschaft komponierte.
Ihre Songs wirken auf Chão Vermelho dementsprechend noch direkter, rauher und existenzialistischer als auf ihren anderen Alben. Zwischen imaginären Folksongs, vage von traditionellen Liedern aus Finland, China und Indonesien inspiriert und experimentellen Exkursionen schafft es Joana Guerra mit Cello und Stimme eine ganz und gar eigene Musik entstehen zu lassen, die nach dem ersten Hören noch lange nachschwingt.

Holuzam Polido
Holuzam Textures & Lines
Travels In My Homeland, Portuguese Piano Music
Chão Vermelho