Ripples
July 25th, 2021
Dialect – under between
Hannah Peel – Fir Wave
Die in Nordirland geborene und in Barnsley, Yorkshire aufgewachsene Hannah Peel interessierte sich zwar schon früh für Musik und deren elektronische Ausdrucksmöglichkeiten, veröffentlichte nach ihrem Studium am Liverpooler Institute For Performing Arts – wo sie mit Sir Paul McCartney höchstpersönlich in Kontakt kam – aber ersteinmal mit The Broken Wave ein Album mit Interpretationen irischer Folksongs, inspiriert von ihrer Mutter. Mit Erland Cooper und Simon Tong begab sie sich dann auf musikalische leicht nostalgische Spurensuche in Skelmersdale in die Nähe von Liverpool. Als eine der sogenannten New Towns zu Beginn der 1960er mit brutalistischen und hypermodernen Zweckbauten errichtet, um in diesem Fall die überbevölkerten Slums, die um die Scotland Road im Noden der Mersey-Metropole meist irische Einwanderer beherbergten, zu entlasten bzw. abzureissen und die Bewohner umzusiedeln (The Magnetic North – Prospect of Skelmersdale).
Als mittlerweile festes Bandmitglied in John Foxxs Band The Math spielt sie Violine und Electronics und hilft die dystopischen Lyrics des Ex-Ultravox-Sängers stilgerecht in Szene zu setzen und gleichzeitig tief in die 1980er abzutauchen.
Und, nicht zuletzt, als Radiomoderatorin verwirrt Ms. Peel in ihrem Programm Night Tracks für den Staatssender BBC Radio 3 mit einer eklektischen Musikauswahl sanft die nächtlichen Radiolauscher. Ganz so, wie auf ihrem aktuellen Album Fir Wave: einerseits zitiert sie hier die Musik des Library Music Label KPM mit dessen genialen Komponisten Delia Derbyshire, Brian Hodgson und Dan Harper, aber, ausgehend von der Auffassung, dass Werksstreue nur eine Möglichkeit von vielen ist, bettet sie Samples der Genannten in einen verspielten Klangmix, der von Ambient- über Technoausflüge bis zu popaffinen Soundscapes reicht. Die Librarykomponisten schrieben ihre teils sehr komplexen Stücke überwiegend, um Fernsehsendungen zu untermalen, das sieht Hannah Peel als nicht mehr zeitgemässes Understatement an.
In Liverpool schwingt in Gesprächen über den Alltag oder jegliches andere Thema, dem vielgeruhmten Humor zum Trotz, immer auch ein Gefühl der Melancholie mit.
Die verblasste Größe und Schönheit Liverpools spiegelt sich auch in all den Referenzen zu den Sixties wider. Dabei ist die Stadt schon seit einiger Zeit nicht nur die Partyhochburg der Insel, sondern kann auch mit einer aktiven, politisch sensibilisierten und jungen kulturellen Szene aufwarten, die seinesgleichen sucht.
Die andere den Liverpudlians nachgesagte Eigenschaft ist die Solidarität und das, wenn man so will, damit in Zusammenhang stehende Interesse an gemeinsamen Projekten, herrührend von den großen Arbeitskämpfen der 1980er Jahren. Und dass das im Jahre 2021 nicht nur Klischees und Floskeln aus einer vergangenen Zeit sind, zeigt sich beispielsweise an den mit einer Mischung aus Geldmangel und Kreativität entstandenden szenenübergreifenden kulturellen Produktionen oder durch Community-basierenden Aktionismus wie die Rettung des Sozial- und Kulturzentrums The Florry im immer noch verarmten Stadtteil Toxteth.
Andrew PM Hunt kennt sich bestens aus in den Undergroundszenen der Stadt. Ob harte Beats für den Dancefloor entwerfend oder mit Land Trance in psychedelische Gefilde eintauchend, immer steht in der elektronischen Musik Hunts auch der Kommunikationsgedanke im Vordergrund. Für sein neustes Album under_between, das dritte unter dem Namen Dialect, arbeitete er mit dem Immix Ensemble, einer Kammermusikformation und verschiedenen Künstlern und Musikern aus dem näheren Umfeld zusammen. Als weiterer Grundgedanke für das Album beschäftigte sich Hunt mit Interaktionen mit der Natur. So klingt das Album mit seinen verschieden Quellen und der Verbindung von Kammermusik, Naturaufnahmen, elektroakustischen und improvisierten Elementen wie eine mit ruhigem Pinselstrich gestaltete Collage, die beim Titelstück, sogleich Höhepunkt des Albums, mit den von Hannah Bitowski geflüsterten Schlagworten- Landscapes, Family, Sex, People, Fire, Ice… – an die verhuscht-geheimsvolle Magie des Dome – Post-Punk-Klassikers Cruel When Complete von Graham Lewis, Bruce Gilbert und A.C. Marias. Immer wieder tauchen auf der Platte überraschende Melodien auf, die dann in bester Brian Eno- Tradition wieder in ambiente Landschaften entschwinden. Die Kunst ist es wohl, die zahlreichen Beteiligten partizipieren zu lassen und doch ein äußerst stringentes Album zu veröffentlichen.