Ripples
February 21st, 2021
Weird Music For Weird People In Weird Times:
Cloth – Cloth
Still House Plants – Fast Edit
Joanne Robertson – Painting Stupid Girls
Andrew Wasylyk – Fugitive Light
Jon Brooks – When it Comes To Spring
David Boulter – Yarmouth
Gilroy Mere – Adlestrop
Tara Clerkin Trio – Dito
Es ist dunkel, es regnet und es ist garstig. Wir werden älter und hässlicher, dicker, grauer und vielleicht kahler. Alles stagniert und die digitalen Ersatzhandlungen machen uns auch nicht unbedingt glücklicher. Bleibt die Musik, und beim Hören von sehr unterschiedlichen Platten aus dem britischen Underground stellt sich die Frage: Bleiben die Engländer nach der absoluten Miserie, die sie sich eingebrockt haben, wenigstens ihrem Faible fürs Exzentische treu?
Das Glasgower Trio Still House Plants, das sich an der dortigen Uni im Kurs für Fine Arts kennenlernte und das auch das letztjährige genre- und länderübergreifende Counterflows-Festival kuratiert hätte, wenn es denn stattfinden hätte können, legt mit Fast Edit ein neues Album vor, das ihren ultraminimalistischen Stil zwischen Punk, Jazz und – als Kontrapunkt – melodischem Gesang wie schon auf diversen Tapes und dem Debut auf die Spitze treibt und hier perfektioniert. Die jeweiligen Anfänge und Enden der Songs werden festgelegt, ansonsten wird die Musik, so Sängerin Jessica Hickie Kallenbach in einem Interview, ganz im Sinne einer Assemblage, um einen Begriff aus der Kunst zu bemühen, durch spontanes Zusammenfügen und Aufbauen von unterschiedlichen Ideen und Parts auf einer Grundlage entwickelt.
Die Reduziertheit ihres Equipments und Auftretens kann wie bei dem Konzert beim Brüsseler Kraak Festival soweit führen, dass der spindeldürre Gitarrist Finlay Clark im Wife Beater-Shirt gekleidet musiziert. Der Schlagzeuger David Kennedy setzt den einen oder anderen jazzigen Akzent, die Gitarre fräst ganz im Sinne eines Mayo Thompson in seinen besten Red Crayola-Tagen, etwa auf Soldier Talk, repetiv bis zum Punkt der Frustration punkig-disharmonische Miniaturen, die Sängerin füllt die Lücken mit einem gewissen Pop-Appeal. Melodiös, aber nicht lautmalerisch, schräg, aber nicht artifiziell ist sie, auch durch ihre Texte, das zusammenhaltende Element in der Musik der Still House Plants. Jessica Hickie-Kallenbachs schräg-souliges Timbre ist aber nicht ausschließlich dafür verantwortlich, dass die Musik des Trios auf den 13 Stücken von Fast Edit nicht zu einer reiner Kopfangelegenheit wird, nein, es ist auch die mit einer nicht zu kleinen Portion anarchischer Unbeherrschtheit ausgestattete Spiellust von Kennedy und Clark. Die große Zeit der Art-School-Bands endete in Großbritannien vermeintlich mit Pulp und Jarvis Cocker, jetzt scheint es aber erste Anzeichen für eine Rennaissance zu geben.
Auch eine direkte Verbindung nach Glasgow (und zwar zu dem Label Laura Lies In) und eine vage zum Jazz hat das Bristoler Tara Clerkin Trio aufzuweisen. Die inzwischen von einer Großformation tatsächlich zu einem Trio geschrumpfte Band um Tara Clerkin und die beiden Brüder Sunny-Joe Paradiso und Patrick Benjamin ist der kleinen, aber aktiven Szene der 2010er Jahre um das Howling Owl Veranstaltungskollektiv und den Plattenladen Stolen Recordings entsprungen. Die ursprünglich bis zu achtköpfige Formation setzte sich aus diversen anderen Bands zusammen und spielte eine Art Psych-Folk. Die Musik, mit der das Tara Clerkin Trio nun auf dem gleichnamigen Album liebäugelt, hat neben losen Jazzelementen und labyrinthisch angelegten Popsongs mehr mit den versponnenen, latent surrealen Songcollagen von wegweisenden Bristol-Bands wie Movietone, Crescent oder Third Eye Foundation gemein. Immer auf der brüchig-fragilen Seite und auch andere Einflüsse, von Dub bis Arthur Russell und Steve Reich, nicht verleugnend, hat die Musik von Tara Clerkin neben aller Komplexität auch eine leichte, luftige und verfüherische Note mit Ohrwurmcharakter.
Wie die Still House Plants studierte auch die aus dem für das Vergnügen der Arbeiterklasse berühmt-berüchtigten Seebad Blackpool stammende Joanne Robertson an der Glasgow School of Art. In Schottland malte sie nicht nur “Portraits dummer Mädchen”, sondern führte ihre in Noisebands wie I Love Lucy praktizierten ersten musikalischen Gehversuche in eine andere, individuellere Richtung. Das neue Album, auf Dean Blunts World Music – Label erschienen, ist nach Black Moon Days und The Lighter eine weitere Steigerng: Ihre ausschließlich mit halluzunatorischem, intimen Gesang, der wie in ein Diktiergerät hineingesungen klingt, akustischer Gitarre und viel Reverb gesungene und gespielte Musik hat eine eigenartige, leicht befremdliche Sogwirkung.
Man fühlt sich atmosphärisch an Sybille Baiers Colour Green-Album, das diese Anfang der 1970er Jahre nach einer persönlichen Krise, die sie zu einer Art Lenzscher Pilgerreise durch die Vogesen bis nach Genf aufbrechen ließ, im intimen Rahmen aufnahm und das eine pure, endgültige Traurigkeit und Einsamkeit ausstrahlte. Auch Adrianne Lenkers aktuelles “Confinement-Album”, ein einer abgelegenen Hütte aufgenommen, geht in eine ähnliche Richtung.
Andererseits wohnt den Songs von Joanne Robertson stets eine abstrakte Note inne, eine, die vielleicht dem Kunststudium geschuldet ist und die eine faszinierende kristallene Klarheit, fernab von Folkwaisen und wohliger Melancholie verkörpert. Painting Stupid Girls: vielleicht das introspektivistische Album seit Dan Treacys The Painted Word, zeitlose Songs voll dahintreibender Schönheit, die nicht ganz von dieser Welt ist.
Cloth ist ein Glasgower Trio, das die Geschwister Rachael (Vocals, Guitar, Bass, Drums, Percussion) und Paul Swinton (Guitar, Bass) mit Clare Gallacher (Drums, Percussion) ins Leben riefen und das die Magie vom endlosen Üben, Experimentieren und Aufnehmen mit einen 4-Track -Recorder im Schlafzimmer in ein Studio transferierten und eine traumwandlerisch perfekte Platte einspielten. Schwer zu beschreiben, diese verhangene, melancholische, trotzdem kristallklarene Stimmung, die Cloth mit sparsamsten, aber melodisch grandiosen Elementen hinbekommen. Die ruhigen, aber einnehmenden Vocals von Rachael Swinton werden von klaren Gitarrenlinien, melodischem Bass, zurückhaltende Drums und feinen, unterkühlten elektronischen Synthieschlieren begleitet. Klingt nun nicht gerade bahnbrechend neu, aber das Album hat ein Flair, das vielleicht, so die Vermutung der Betreiber des dortigen wichtigsten Plattenladens Monorail, auch ein bißchen dem schlechten Wetter und dem Vitamin D-Mangel der schottischen Metropole geschuldet ist.
Fugitive Light And Themes Of Consolation ist das dritte Album von Andrew Mitchell aka Andrew Wasylyk, der die Landschaft um seine Heimatstadt Dundee als Inspiration für seine manigfaltigen Ausflüge in unbekanntes oder vertrautes Terrain, eben auch musikalischer Art, nimmt. Als thematischer Überbau dient diesesmal die Mündung des Tay und deren Ansiedlungen. Wasylyk interessiert sich für die Stimmung der suburbanen verlassenen Straßen bei Sonnenaufgang, die noch erhaltenen oder schon von der Natur zurückeroberten Fabrikgebäude der Textilindustrie, den Gezeitenwechsel, das spärliche Licht über den weiten Feldern und der Lauf der Dinge im allgemeinen. Anders als die z.B. mit Symbolen und der Aura des Verlustes aufgeladene Musik eines Richard Skeltons oder den post-industrialistischen Klanggebilden von Zoviet France packt Mitchell all diese Eindrücke in einen Songzyklus, der mit einer Patia der Vergangenheit versehen, sich der Gegenwart stellt. Die Jazzeinflüsse zeigen sich in den Arrangements und dem unter vielen Instrumenten prägnanten Fender Rhodes Piano: Musik, die stellenweise die beseelte Musik einer Alice Coltrane zu zitieren scheint, aber auch in der Traditon der intimeren Alben von Talk Talk und den esoterischeren, pastoralen Zweig der Ambient Music steht.
Das im weitestgehenden Sinn sich dem Jazz und Soul mit seinen vielen Nebenzweigen verschriebene Edinburger Label Athens Of The North ist der ideale Heimathafen für solch uneinsortiebare Musik mit starker individuelller Note.
Frances Castles Atelier und kleiner Laden befindet sich tief im Londoner East End, unmittelbar neben dem zur Olympiade errichteten London Stadium und nicht weit von den Hackney Marshes im Lower Lea Valley entfernt, wo sich vor der großen Gentrifizierungswelle psychogeographisch Interessierte und passionierte Leser von J.G. Ballard vorzüglich auf die Spurensuche nach den Hinterlassenschaften früherer Industriebauten, überwachsenen Suburbs begeben oder auch dem Autobahnring London Orbital weiter folgen konnten. Ihr Label Clay Pipe Music feiert mit den Represses der ersten beiden Alben das zehnjährige Jubiläum: Die damals noch auf CD erschienen Platten – ihr eigenes Hardy Tree – Projekt und Michael Tanner & Kerrie Robinson – entstanden noch bevor Vinyl, zuerst von Mikrolabels, dann von den dahinsiechenden Majors als Marktlücke, um alte Titel nochmals vermarkten zu können, wieder als cool galten.
Die ausgesuchten, drei bis vier Platten pro Jahr, die die ansonsten als freie Illustratorin tätige Frances Castle auf ihrem Label veröffentlicht, sind zum einen durch ihre unverwechselbare Hüllengestaltung, aber auch durch eine ähnliche Auffassung von Musik der diversen Künstler unschwer als Clay Pipe-Produktion zu erkennnen.
Mit Ausnahme des Schweden Peter Olof Fransson eint die Musiker eine Sehnsucht, die verschwundende Geschichte und Kultur Großbritanniens, wenn schon nicht festzuhalten, doch zumindest zu hommagieren.
Dabei geht es nicht um einen Bewahrungskonservatismus, sondern eher um die verlorenzugehende Diversität der urbanen Architektur und kulturellen Mikroszenen: Freiluftbäder, die eingestellte Londoner Busverbindung in die Vororte The Green Line, eine Spukgeschichte im Zusammenhang mit einem Leuchtturm, ein früheres Feriendomizil werden da schnell zu erstrebenswerten imaginären Reisezielen. Die fast ausschließlich instrumentale Musik, oft mit pastoralen Untertönen und von ruhiger Natur, dreht sich thematisch um Lost Places; Musik, die eher verschrobene Sonderlinge mit Minderheitsinteressen als Millenials auf der Suche nach hipper Hintergrundsmusik anzieht.
als Londonerin kennt Frances Castle viele dieser Lost Places. So berichtet sie in einem Interview für Ian Preeces Buch über Untergrundlabels Listening To The Wind (Omnibus Press), dass von den Orten, wo ihre Ahnen wohnten oder arbeiteten in solch einer dynamischen Stadt wie London oft nur noch vergilbte Fotos und vage Erinnerungen übrig geblieben sind. Wo Verwandte im East End oder Baltic Wharf in den Werften schufteten, stehen heute moderne Reihenhäuse oder die Tate Gallery.
Clay Pipe – Veröffentlichungen sind mittlerweile nach der Pre-Sale-Ankündigung auf der Webseite meist innerhalb weniger Stunden ausverkauft. Die Realtität ist aber auch, dass die Erstauflagen gerade mal 700 -1000 Exemplare betragen und mit der einen oder anderen nachgeschobenen Zweitauflage von 300-500 Stück die Nachfrage auch gedeckt ist. Trotzdem, so Frances Castle, scheint in dieser so anstrengend wie merkwürdigen Zeit eine größere Sehnsucht nach Innehalten, der Möglichkeit, sich komplexeren Dingen widmen zu können und auch die, bewusst unabhängige Künstler und Institutionen zu unterstützen, zu entstehen.
Gilroy Mere (aka Oliver Cherer) inszeniert auf seinem zweiten Clay Pipe- Album Adlestrop erneut gekonnt die leicht geisterhafte Stimmung, die man von The Green Line kennt. Diesesmal diente ihm eine stillgelegte Bahnlinie mit seinen verwaisten Bahnhöfen und Haltestellen als Inspiration, Ein Gedicht von Edward Thomas, singend vorgetragen, führt in das Thema ein:
Yes. I remember Adlestrop
The name, because one afternoon
Of heat, the express-train drew up there
Unwontedly. It was late June.
The steam hissed. Someone cleared his throat.
No one left and no one came
On the bare platform. What I saw
Was Adlestrop—only the name
And willows, willow-herb, and grass,
And meadowsweet, and haycocks dry,
No whit less still and lonely fair
Than the high cloudlets in the sky.
And for that minute a blackbird sang
Close by, and round him, mistier,
Farther and farther, all the birds
Of Oxfordshire and Gloucestershire.
Cherer fand in Adlestrop nur noch ein altes Plattformschild vor, das nun in den Unterstand einer Bushaltestelle integriert war. “Aber, all die Vögel von Oxfordshire und Gloucestershire sangen immer noch, wie Geister aus dem Gedicht von Thomas.” Mit einem digitalen Rekorder und einem Handbuch über die Bahnlinie ausgestattet, begab sich Cherer auf weitere Spurensuche. Die nicht mehr existierende Bahnlinie fuhr einstmals öffentliche Schulen, Fähren, Minen und sogar ein Asylium an. Ein Park, mit Hotel und Straßen, der nie zuende gebaut wurden und die heute überwachsen sind oder zu Parkplätzen umfunktioniert wurden; die Hinterlassenschaften einer lange vergangenen industriellen Vergangenheit finden sich im Überfluss. Cherer reagierte zuhause auf seine Eindrücke in bester Ghost-Box – Manier und komponierte mit den gesammelten Feldaufnahmen und seinen Instrumenten eine mit Folk- und Retroelektronikelementen durchsetzte Musik, die eine Verbindung von der Vergangenheit zur Gegenwart herzustellen vermag und wunderbar dem Eskapismus frönt.
Das frühere Mitglied der Tindersticks David Boulter war maßgeblich für die unverwechselbaren Soundtracks der Band für Claire Denis verantwortlich. Nun, seit einigen Jahren in Prag lebend, spezialisierte sich Boulter intensiver auf diesem Gebiet, ohne scheinbar die subkulturellen Bewegungen außer acht zu lassen. Für sein Clay Pipe- und sein ersten Solo-Album begiebt er sich nochmals an den traditionellen Ferienort seiner Kindheit Yarmouth zurück und beschwört die Zeit in den siebziger Jahren in einem britischen Seebad herauf. Obwohl auch dort der Zahn der Zeit vieles zum Verschwinden oder zumindest Verwittern brachte, hat sich Boulter zumindest seine gespeicherten, leicht wehmütigen Erinnungen an unbeschwerte Sommer, Fish & Chips-Shops, die an diesen ebenfalls höchst interessierten Möven, die Amusement Arkaden und die Strände bewahrt.
Nicht verwunderlich bei der Vorgeschichte von David Boulter, dass er das Album filmisch-erzählerisch komponierte. Mit überwiegend akustischem Instrumentarium – Lowrey Organ, Gitarre, Flöte, Violine, Kontrabass, Vibraphon – geht es vom Sandstrand zur Flower Clock, nachdem er bei Trudy vorbeigeschaut hat, spaziert man auf der Marine Parade zur Milk Bar, nur um dann im Tower Ballroom sich die Roller Skates anzuschnallen; auch der Roller Coaster Ride muss unbedingt sein.
Träumerisch, in leicht vernebelter Stimmung ist das Seelenbalsam für den notgedrungen zum Armchair Traveller degradierten Zeitgenossen. Yarmouth passt damit geradezu perfekt in das Clay Pipe – Labelprofil über reale, verschwundene oder imaginäre Orte.
Jon Brooks ist ohne Zweifel der Tausendsassa der musikaffinen Hauntology- und Psychogeography- Gemeinde, sowohl als Musiker als auch als Prodzent. Mit dem Ghost Box-Label, das er gründete und mitbetreibt, wurde britische Nachkriegsfernsehkultur, von der Library Music zu den Public Information Films, ironisch gebrochen wiederbelebt und auch aktualisiert. Dies hatte selbstredend auch Einfluss auf andere Genres als die musikalische Subkultur. Mark Fisher fasste das unter dem Oberbegriff Hauntology zusammen. Mit Advisory Circle tritt Jon Brooks genau in diese Fußstapfen von dieser spröden, latent überspitzten staatlichen Informationsvermittlung mittles Understatement, und zwar zu opulenter und verquerer Synthesizermusik. Auf dem Sub-Label Cafe Kaput (sic) veröffentlicht Brooks seine filmmusikalischen Stücke. Auch hier geht es scheinbar geordnet und thematisch zu: Applied Music: Land & Sea oder Applied Music: Science & Nature zum Beispiel, Musik zwischen experimentellem Ambient und elektronicher Avantgarde.
Die inzwischen vier Veröffentlichungen für Frances Castle unter seinem eigenen Namen wirken dagegen introvertierter, verspielter, genreübergreifender. Das aktuelle Album – How To Get To Spring – lotet die Stimmungen und Gefühlzustände aus, die der Übergang von einem harten Winter
zum Frühling mit seinen leeren, dramatischen Himmeln und einem zarten Versprechen auf etwas Wärme und Licht mit sich bringt. Das klingt gerade wie eine Metapher für die Sehnsucht nach
dem Ende des Ausnahmezustandes.
Meisterlich konstruiert aus Aufnahmen von Wanderungen und einer Vielzahl von akustischen Instrumenten und sublimen elektronischen Meditationen, pulsiert die Musik zwischen warmen, melodischen und abstrakteren Parts mit dramatischen Wendungen und Zuspitzungen; von Stücken mit einem leichten Folk-Touch zu kosmischen Ausflügen und wieder zurück auf den Boden.
http://www.claypipemusic.co.uk
https://lauraliesin.bandcamp.com/album/tara-clerkin-trio
https://doulikeworldmusic.bandcamp.com/album/joanne-robertson-painting-stupid-girls
https://www.lastnightfromglasgow.com/artists/cloth/
https://bison-records.bandcamp.com/album/fast-edit
https://andrewwasylyk.bandcamp.com/album/fugitive-light-and-themes-of-consolation
Ripples Oktober 2012
October 16th, 2012
Go Kart Mozart – On The Hot Dog Streets
Malka Spigel – Every Day Is Like The First Day
Ob Pulp die letzte letzte klassische Art School – Band war, die der Arbeiterklasse entsprang und noch etwas Relevantes zu sagen hatte, wie der Architekturkritiker Owen Hatherley in seiner liebenswert unprätensiösen Hommage Uncommon (Zero Books ) behauptet, ist vielleicht nur der Affinität des Autors geschuldet, aber unbezweifelbar schrieb Jarvis Cocker , insbesondere auf His ‘N’ Hers und Different Class noch über komplexe Themen (Klassensystem, Geschlechterkampf, Acrylhemden… ).
Ripples August 2010
August 9th, 2010
Márcia – EP
Márcia ist eine sichere Anwärterin für eine weitere Folge unserer beliebten Serie ‘O Futuro da Saudade’, wenn sich ihr im Herbst erscheinendes Debut-Album in etwa so anhört wie diese EP mit fünf Stücken, die von Optimus Discos herausgegeben wurde (und heruntergeladen werden kann). Eine nicht atypische portugiesische Vita: mit dreizehn Jahren komponieren und eigene Stücke singen begonnen, danach Studium an der ‘Universität der Schönen Künste’ in Lissabon, längerer Paris – Aufenthalt und schließlich Konzentration auf die Musik. Gesang und Gitarre; das läßt an Luna Pena denken, doch Márcias‘ Stücke sind nicht allzu sehr mit dem portugiesischen Liedgut verbandelt. Melancholie? Das dann doch. Ohne die geht es mit einem portugiesischen Pass nicht. Ihre Musik ist, obwohl sie nur mit der Akustikgitarre instrumentiert ist, nicht verhuscht wie die vieler Weird-Folk-Sängerinnen, sondern klingt wie ihr Gesang bestimmt und selbstbewusst. Mit kristallklarem, dunklen Timbre besingt sie in Portugiesisch, Französisch oder Englisch ihre Version über die Irrungen und Wirrungen der Liebe ff. Optimus Discos
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Television Personalities – A Memory Is Better Than Nothing
My Dark Places, das sogenannte Comeback-Album Dan Treacys nach Drogensucht, Obdachlosigkeit und Gefängnisaufenthalt war trotz der Unterstützung seines alten Weggefährten Edward Ball und einiger guter Ansätze eine kaum zu ertragende Freakshow, zerrissen und den Hörer in die Rolle des Voyeuristen drängend, nicht unähnlich den Platten eines Danies Johntsons, bei dessem Ouevre ich selbiges Unwohlsein empfinde. A Memory Is Better Than Nothing, vier Jahre später und nach einem weiteren Besetzungswechsel, ist wieder völlig anders ausgefallen. Treacy bekam scheinbar wieder Distanz zu seinen eigenen Abgründen und kann Biographie und Kunst trennen, wie wäre sonst die Rückkehr zu früherer Ironie zu erklären? A Memory… hat einige wirklich gute TVP-Stücke in klassischer Manier aufzuweisen: auf den Punkt gebrachte Jingle-Jangle Tunes wie das Titelstück oder She’s My Yoko, exentrisch Arrangiertes wie Funny He Never Married oder verquere Neo-Psychedelica wie wir es von den frühen Alben kennen : People Think That We’re Strange oder The Girl In The Hand Me Down Clothes. Die momentane Verehrung und die Hommagen von jüngeren Musikern für den kommerziell immer unter seinen Möglichkeiten gebliebenen Treacy ist nur angemessen. Selbst erinnern wir uns noch gerne an ein Interview Ende der 80er, als wir einen der unprätensiösesten und sympatischsten Vertreter seiner Zunft trafen. TVP
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Ignatz – Mort Aux Vaches
Während wir weiter auf Ignatz IV warten wird uns die Zeit mit einem Schmankerl aus dem Hause Staalplaat verkürzt. In der Mort Aux Vaches – Reihe spielte Bram Devens 2005 eine Radio-Session ein, also zu Zeit von Ignatz I (K-raa-k). Zur großen Verwunderung hören wir hier also teilweise Stücke und Variationen vom Debutalbum. Mit ultramorbiden Wüstenmeditationen und versponnener, diesmal fernöstlich anmutender Psychedelica – hier, nicht weit von Ben Chasnys’ überzeugenderen Six Organs Of Admittance – Alben entfernt – zieht Devens uns ins gelobte Herriman – Land von Krazy Kat und Ignatz. Die Stücke zeigen welch faszinierender Improvisateur Devens ist, weniger hinsichtlich Virtuosität als als Meister der atmosphärischen Verdichtung. Staalplaat
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Marc Almond – Varieté
Ein Motorradunfall kostete ihm vor einigen Jahren fast das Leben; beim langen Rehaaufenthalt musste er selbst das Singen wieder erlernen. Einige Gastauftritte, z.B. bei Current 93 trugen zur Genesung bei, aber Varieté ist tatsächlich das erste Album mit eigenem Material seit 1999. Die in zahllosen Varianten bemühte Metapher vom tief im Herzen einsamen und traurigen Varietè – Künstler, in verschärfter Ausgabe gar des Clowns, ist zugegeben ein Graus ohnesgleichen. Man darf aber einem Marc Almond zutrauen, hier keine weitere klischierte Version dieses Themas zu bieten, sondern ein over the top – Kitchen Sink Drama zu konstruieren, das mit Zitaten aus den cineastischen britischen New Wave – Klassikern der Fünfziger und Frühsechziger, einer großen Portion Camp und Verruchtheit aus dem samtenen bzw. ledernden Untergrund aufwartet. Varietè kann sich, was das Songwriting und die Emotionalität anbelang, gar mit seinem opus magnum mit Marc & The Mambas – Torrement and Torreros – messen – wenn auch die exzentrischen Arrangements, die die Handschrift Anni Hogans’ trugen, einzigartig bleiben. Seine wiedererlangte Sangeskunst kam jedenfalls seinen großen Vorbildern – Jacques Brel, Scott Walker, Lou Reed’s Berlin – , alles Meister des desolaten Chansons und überkanditeltem Pathos – – noch nie so nahe. Marc Almond
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Herzfeld Orchestra – Dito
Immer wieder traf man in den letzten Jahren bei Konzerten im Elsass im Vorprogramm auf die Projekte des Straßburger Labels, das sich nach dem deutschen Namen des Montagekünstler benannt hat: Original Folks, Buggy, Einkaufen, Little Red Lauter, A Second Of June, Marxer, Guisberg etc. Das Herzfeld Orchestra vereint zwanzig Musiker des Labels, die alle ihre Beiträge zu den zwölf Songs des Albums beitrugen. Livepremiere hatte das Projekt in der Stadt der “1000 Schornsteine”, Mulhouse; die Ausrichtung des Labels ist aber eher in den Weiten Amerikas und, als Gegenstück, im verregneten Teil Schottlands verortet. Alternative Folk im weitestens Sinn also, dazu lassen sich auch direkte Liebesbezeugungen an verdiente Größen, die auch schon auf der Suche nach dem perfekten Popsong waren wie Edwyn Collins, den Reid-Brüder oder gar noch älteren “Sunglasses After Dark”- Trägern heraushören. Hrzfld
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Reines D’Angleterre – Les Comores
Wenn auf den Inseln im Indischen Ozean die folkloristische Musik so klänge, wäre das durchaus besorgniserregend, denn solch intensive Teufelsaustreibung ist auf Dauer der Gesundheit wohl abkömmlich. Aber die Protagonisten der Reines D’Inglaterre wandeln ja auf europäischem Grund, und hier ist man traditionellerweise schon an vergleichbare Zeremonienmeister und Exzentriker gewohnt.
él-g, mittlerweile in Brüssel residierender Pariser mit großem musikalischem Output, ist durch seine (Kraak)- LP Tout Ploie noch im Gedächnis. Eine halluzinatorische Chansonplatte, die ihren Vorbildern in Free Style- Manier auf den Pelz rückt. Opéra Mort, das post-industrial – Duo mit Jo, ist auch Bestandteil der RDA. Tazartès’ epochale Frühwerke, die mit dem damals noch nicht existenten Genre World Music ähnlich radikal verfuhren, suchen nach wie vor ihressgleichen. Seine Quellen entstammen sowohl aus elektronischem und konventionellem Fundus. Tazartès Markenzeichen – ein sämtliche Konventionen sprengender Gesangsstil, eine nicht einzuordnende Mèlange aus jiddischem, nordafrikanischem und der Phantasie entsprungemem babylonischem Sprachgewirr, die aus der Hörspieltechnik und der Filmvertonung entliehene Technik der rasanten Schnitte sind hier alle präsent. Seit geraumer Zeit gab es von ihm keine dokumentierte Musik mehr. Les Comores wurde schon live an ausgesuchten Orten getestet; das Album ist genau so ausgefallen wie die Summe aus den einzelnen Komponenten: Collagenhafte, noisige, rituelle Klangkonstrukte, die manchmal an die frühen Zoviet France erinnern, aber durch die emotionalen Ausbrüche Chédalia Tazartès auf eine transzendente Ebene gehievt werden. Boweavil Recordings