Ripples

May 5th, 2022

BRDCST – Festival Bruxelles 2022

 

Als legitimer Nachfolger des Domino-Festivals, das jahrelang in Brüssel die zukünftigen angesagten Underground-Acts und Geheimtipps an einem Ort versammelte, dient nun die retro-futuristische Birminghamer Band Broadcast und deren Musik den Veranstaltern des BRDCST-Festivals als Inspiration für musikalische Innovationen. Trotz dem frühen Tod von Trish Keenan und den wenigen Alben, die Broadcast veröffentlichen konnte, spannt ihre Musik doch einen wunderbaren Bogen von der Vergangenheit über die Gegenwart bis in die Zukunft.
Während der drei Tage der 2022-er Ausgabe des BRDCST-Festivals wurde man dann nebenbei auch nochmals einem kontinuierlichen Brainwashing unterzogen, lief die Musik der Band doch während der Pausen auf Dauerbetrieb im Shuffle-Modus. Im altehrwürdigen, aber auf den neuesten Stand gebrachten Ancienne Belgique – AB – konnte man sich fast wie in alten Zeiten fühlen: Ein exquisites Programm quer durch die Underground-Genres, das gewohnt offene Brüsseler Publikum und starkes belgisches Bier. Wäre es dann nicht doch noch zur einen oder anderen pandemiebedingten Absage gekommen, man hätte die vergangen zwei Jahre für einen Spuk halten können.

Am ersten Abend standen die ugandischen Untergrund-Labels Nyege Nyege und Hakuma Kulala aus der Hauptstadt Kampala im Fokus, die, Internet ausnahmsweise sei Dank, sich durch ihre Version von Außenseiter-Klub-Musik einen guten Ruf, auch international, erworben haben, und deren “Star” fraglos MC Yallah ist. Ihre elektrisierende Musik, ein ungemein anregendes Gebräu aus Grime, futuristischem Hip Hop und Punk, und ihre imposante Performace und Statur wird durch den franzsösischen Musiker und DJ Debmaster noch zusätzlich geschärft und geschliffen.

Ecko Bazz, anschließend im Clubraum zu sehen, konnte man dann als die maskuline Ausgabe von Yallah, ohne ihren Charme, durchgehen lassen. Das Perkussions-Trio Arsenal, das furios treibende Rhythmen mit einem gespenstischen Nachhall von Refrains traditioneller Songs verband, zog das Publikum wohl so in den Bann, dass sie am darauffolgenden Abend gleich nochmals für die nicht auftreten könnende Circuit Des Yeux gebucht wurden.

Gut hätte stilistisch auch Jana Rush aus der Chicago-Szene zu diesen Overdrive-Künstlern aus Kampala gepasst, wobei sie ihren schnellen und harten Beats inzwischen die eine oder andere verschwurbelte Prise anderer experimenteller Genres beimischt.
Neben dem legendären Ruf der Technoakrobaten hallt der, des Jazz-Avantgarde-Kosmos in Chicago und New York gleichfalls in die weite Welt.
Mit der Trompeterin, Sängerin, Poetin Jaimie Branch, einer Schwester im Geiste von Matana Roberts, und ihrer Band, die mit einer sympathischen punkigen Attitüde Free Jazz, Avantgarde, melodische Einsprengsel und explizite politische Aussagen in Einklang bringen, steuerte man einerseits dem Höhepunkt des ersten Abends zu und konnte glauben, dass im Nach- oder wieder Prä-Trump-Land doch noch nicht alles verloren zu sein scheint.

Für das stille, aber nicht minder interessante, Hintergrundsprogramm im leider platzmäßig arg limitierten Salon im Obergeschoss, sorgten die zu recht gefragte Cellistin Lucy Railton und die belgische Farida Amadou, die mittels Fenderbass erstaunliche Klänge hervorbringen konnte.
Durch die Ausfälle der Hauptacts Circuit Des Yeux und Hiro Kone am zweiten Abend rückten andere Musiker in den Mittelpunkt, z.B. Christina Vantzou. Im nun mit einer Zuschauertribüne versehenen Theaterraum brachte sie den typischen Kranky Records-Sound in die belgische Hauptstadt: Lang angelegte, ambient-meditative aber suggestive Drone-Kompositonen, die man gerne als post-klassisch bezeichnet. Der sympathische Eigenbrötler Yosuke Fujita widmete sich zuvor seiner selbtgebauten, etwas futuristisch aussehenden Orgel aus elf Pfeifen und findet sich mit seiner orginellen Musik plötzlich im allgemeinen Genre-Name-Dropping unter hipperen Zeitgenössinen wie Anna von Hausswolff und Kali Malone wieder.
Das vielleicht typische Londoner urbane Gebräu aus Dub, Post-Punk und Grime bediente Wu-Lu vortrefflich, während Bitchin Bajas ihr hochgelobtes Tape Switched On Ra live präsentierten. Letzteres für meinen Geschmack ein ziemlich unverdauliches Gebräu aus Eso-Kitsch, verquirltem Hippie-Getue mit affektierten Gesang. Schnell noch mal raus auf die Straße und um die Ecke auf dem Boulevard Anspach sich dem hochprozentigeren, aber bekömmlicheren belgischen Gebräu gewidmet war die kurzfristige Lösung des Problems.
Im Salon verzauberten und versöhnten dann aber wieder die Solo-Performances der Neue Musik- Klangkünstlerinnnen Elisabeth Klinck (Violine, Elektronik) und Judith Haman (Cello).

 

Eine belgische All-Star-Band interpretierte am Sonntag anlässlich des fünfzigsten Erscheinungsjahres von Tago Mago den Klassiker von Can in voller Länge.
Im Salon ging es nochmals intimer zu: die Violinistin Catherine Graindorge präsentierte unter anderem ihr ausgesucht schönes Solo-Album Eldorado, das mit ihren Streicherarrangements und elektronischen Verfremdungen und filmischen Kompositionen an ähnlich melancholisch veranlagte Zeitgenossen wie Julia Kent odert Sarah Neufeld erinnert.
More Eazes und Seth Grahams Musik als —__–___ wirkt klaustophobisch und anderweitig beklemmend, einerseits, aber auch in die Zukunft gerichtet und überweltlich schön. David Sylvian scheint Fan zu sein, und so atmospährisch und eklektisch wie seine Solo-Alben ist auch die Musik des Duos.

Einer der Schwerpunkte des diesjährigen Festivals und Artist – In – Residence war die britische Perkussionistin Bex Burch, die – hyperproduktiv – gleich drei ihrer so unterschiedlichen wie hochkarätigen Bands bzw. Kollaborationen vorstellte. Das Ghanaian Xylophone, Gyil genannt, ist das bevorzugte Instrument ihrer Wahl. Im Gegensatz zum traditionellen, rituellen Gebrauch, oft als Begleitung bei Beerdigungen, führt einen Bex Burch in beswingtere musikalische Aggregatszustände. Nachdem sie das Spielen teilweise in Ghana selbst studierte, entwickelte sie in zurück in England eine modernisierte Version des Instruments, das auch elektronisch gekoppelt werden kann.
Zusammen mit Leafcutter John nahm sie während der Seuchenzeit via Zoom ein Album auf, das, wie man sagt, deutlich mehr als die Summe der Einflüsse und Qualitäten der beiden Musiker bietet. Live klang die Fusion aus futuristischer Library-Music, dem hier elektronisch klingenden Gyil und ambienten bis verschwurbelten Synthesizerklängen fesselnd.
Vula Viel, ihr Trio mit Ruth Goller (Bass) und Jim Hart (Drums), dagegen ist wieder ein ganz andere Geschichte, vermischt aber nicht weniger waghalsig unterschiedliche Stile: Ein unterkühltes Post-Punk-Flair mit treibenden Rhythmen à la der World Music Fraktion von Crammed Discs und Neue Musik-Minimalismus nämlich.

Auf Strut Records, einem Londoner Label, das sein Schaffen der jungen Jazz-Szene, aber auch dem Vermächtnis von Sun Ra widmet, erschien dieses Jahr das Debut-album von Flock.
Bex Burch spielt hier mit unterschiedlichen Musikern aus der alternativen Londoner Szene zusammen: Danalogue (fender rhodes), Sarathy Korwar (drums, tabla), Al Macsween (prepared piano) und Tamar Osborn (bass clarinet, soprano sax). Zwischen Groove, Melodie, Introspektion, kosmischem Free Jazz und nordafrikanischen und indischen Einflüsse spiegelt die Musik von Flock die hyperheterogene Musikszene Londons wieder, und das wirkt auch auf der Bühne in Brüssel brilliant und mitreißend.
Tirzah und Mica Levi lernten sich an der Purcell School for Young Musicians in Hertfordschire kennen und daraus entwickelte sich eine Freundschaft, die sich auch kreativ in gemeinsamen Projekten und gegenseitigen Gastbeiträtgen niederschlug. Die geschulte Komponistin und Produzentin Levi (Micachu, Good Sad Happy Bad, diverse Filmscores etc.) ermunterte Tirzah ihre Bedroom-erprobten Songs so unverkünstelt und roh wie sie sie zu hören bekam, aufzunehmen. Ihre beiden Alben – Devotion und Colourgrade – bestechen deshalb durch scheinbare Einfachheit, die dahingeschludert wirken mag, aber letztlich doch bis ins kleinste Detail durchdacht ist. Tirzahs warmer Gesang kleidet ihre melancholischen, windschiefen Songs in emotionale Lullabies, die nachhaltig Spuren hinterlassen. Auf das absolut Wesentlichste reduzierte Versatzstücke aus Dub, R & B, Ambient, Noise, verschleppte Beats und Pop lassen ihre Musik zugleich traditionsbewusst, cool wie zeitlos erscheinen.

Mit Coby Sey als geistesverwandtem Illustrator ihrer Songs bezauberte Tirzah auch live – obwohl die Bühne des großen Saals des AB für die intime Darbietung etwas überdimensioniert wirkte – das Publikum vom ersten Ton an. In einer sympathischen Mischung aus Understatement und Selbstbewusstsein sang sie ohne jegliche Inszenierung oder gar Bühnenshow eine Auswahl der Songs ihrer beiden Alben.
Jenny Hval stellte – sozusagen als Headlinerin am Sonntag – ihre neues, pop-affines Album vor, das aber letztlich immer noch Off-Stream ist. Intellektuell, vertrackt und textlastig in merkwürdige Nischen-Genres abtauchend, dann aus dem Nichts wieder einen Ohrwurm-Refrain hervorzaubernd – so kennt man die norwegische Künsterlin, Schriftstellerin und Musikern seit ihren ersten Gehversuchen im Umfeld von Noise – Master und Produzent Lasse Marhaug.

Verschwurbelt-abstrakte Texte, trockene Ironie und Pop-Hooks widersprechen sich im Universum von Jenny Hval nicht, ganz im Gegenteil, sind sie doch die Essenz ihres von Album zu Album immer weiter perfektionierten Handschrift. Ihre bemerkenswerte, sich immer wieder wandelnde Stimme hat von glockenhell bis cool und klassisch alle Nuancen drauf. In Brüssel präsenentiert sie mit ihrer aktuellen Bandüberwiegend das neue Album Classic Objects.

Jenny Hvals Entertainer-Qualitäten sind angesichts der komplexen Songs und kopflastigen Lyrics durchaus ein wenig überraschend. Sie gestaltet jeden Song und nimmt die Bühne mit einer starken Präsenz ein, und die Band – Johan Lindvall, Havad Volden, Hans Hulbaenko, Vivian Wang weiß zu grooven. Ironischer Smalltalk mit dem Publikum und das Auftreten einer Post-Punk-Band gleich, aus einer Zeit also, in der Inhalte und Attitüde noch etwas bedeuteten, konstrastieren schön mit der zeitgemäßen Musik und den ironisch bekleideten Rollen.