Ripples

January 28th, 2019

CD Estrela da Amadora vs. Linda a Velha


An diesem kalten, aber strahlend schönen Sonntagnachmittag tut sich wieder Außergewöhnliches um das jahrelang verwaist gewesene José Gomes Stadion. Weit außerhalb von Benfica und den Stadtgrenzen der den Touristen nicht mehr Herr werdenden Hauptstadt, findet man sich zwischen Lissabon und Sintra in einer verdichteten, chaotisch, scheinbar ohne größeren Plan angeordneten urbanen Landschaft wieder. Moderne Hochhaussiedlungen, Fabriken, in denen noch gearbeitet wird und ihre schon stillgelegten Pendants, sogenannte Problemviertel wie Cova da Moura, Tankstellen und Autobahnauffahrten: Eine abenteuerliche Verkehrsführung bahnt sich Weg und dazwischen kann man manchmal noch einen Hauch eines ländlichen, längst verblassten Portugals erahnen, vor allem, wenn sich die unwahrscheinlich üppige Natur die Brachflächen und verfallene Anwesen zurückerobert. J. G. Ballard hätte sich und alle sich zu psychogeographischen Exkursionen berufenen Zeitgenossen würden sich bestens aufgehoben fühlen.
Amadora war traditionell, ähnlich wie Almada auf der Südseite des Tejos, immer schon ein Anlaufpunkt für Migranten aus den ehemaligen Kolonien, Zugewanderte und Arbeiter machen einen Großteil der Bevölkerung aus. An diesem Sonntag begegnet man immer wieder schwarzen Familien in Sonntagskluft, oft schon im Rentenalter, auf dem Weg zum Gottesdienst oder zu Verwandtenbesuchen. Amadora ist aber angesichts der steigenden Mietpreise in Lissabon und einer nun verbesserten Verkehrsanbindung eine Option für Mittelklassfamilien aus der Metropole.
Zurück zum Fußball: Estrela da Amadora, ein ehemaliger Erstligaverein, der neben einigen bekannten Spielern auch den Trainer Jorge Jesus hervorbrachte, spielte zu seiner Blütezeit, die u.a. einen Pokalsieg einbrachte, im Stadtteil Reboleira. 2008 ging man in den Konkurs. Nach der Neugründung als CF Estrela findet man sich diese Saison in der Distriktliga von Lissabon – sechstklassig – wieder und erfährt unverhofft eine Art Renaissance, nicht zuletzt auch aufgrund der Sehnsucht vieler Fans nach der ursprünglichen Authenzität des Sports. Auch das Stadion ist nun wieder in Betrieb genommen worden. Zum letzten Heimspiel gegen CF Belenenses fanden sich ungefähr 5000 Fans ein, deutlich mehr Zuschauer als die meisten Erstligaclubs normalerweise verzeichnen können. CF Belenenses ist , ein anderer gestrauchelter Traditionsclub, der zahlreiche Titel, vor allem in anderen Sportarten erringen konnte.  Nach Streitigkeiten mit der professionellen Fußballabteilung über die Stadionmiete des grandios gelegenen Restelo-Stadion, splittete man sich auf. Die Profis spielen nun im Nationalstadion außerhalb der Stadt vor wenigen Zuschauern. Die Amateure hingegen mit einer großen, der ursprünglichen, Fangemeinde und Mitglieder, nun in der gleichen Liga wie Estrela.

Schon Stunden vor Spielbeginn hatte man um das Stadion das Gefühl, sich auf einem Volksfest zu befinden. Obwohl in Portugal die Fans der kleineren Clubs immer auch mit einem der drei großen – Sporting, Benfica, Porto – sympathisieren, ist die Rückkehr zu einer Fußballkultur, die die unerfreuliche Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte wie gnadenlose Verkommerzialisierung, unerschwingliche Ticketpreise und rivalisierende, gewaltbereite Fangruppen vergessen macht, gerade auch in Krisenzeiten, höchst willkommen. Eine Tendenz, die man ja in Großbritanien schon seit einiger Zeit verfolgen kann, wo einige Clubs gar von Fans übernommen und verwaltet werden. Bei Eintrittspreisen im José Gomes Stadion zum heutigen Spiel gegen Linda a Velha von 2 Euro gibt es wenig Argumente, den Nachmittag nicht an der Sonne und in angenehmer Atmosphäre im José Gomes zu verbringen.

Die Tribüne ist wieder ganz ordentlich besetzt und das Bier kostet einen Euro; da sieht man auch gerne über die verlotterten Sitzschalen und das noch entwicklungsfähige Spielniveau des eigenen Teams hinweg. Bei freier Platzwahl und dem einen oder anderen Tratsch mit Bekannten ist das Spiel auch nur ein Teil des Vergnügens. 1:1 trennen sich die Mannschaften in einem Spiel, das durch das holprige Terrain immer einen gewissen unwägbaren Überraschungsmoment auf Lager hatte. Estrela jedenfalls macht gerade wieder Spaß!
Andere traditionelle Clubs, die lange Zeit der ersten portugiesischen Liga angehörten und dann durch die Professionalisierung und Spekulation in Nöte kamen, gibt es einige. Sport Comércio Salgueiros in Porto beispielsweise spielte im gleichnamigen Stadtteil und war ähnlich wie Belenenses auch in anderen Sportarten erfolgreich. 2004 musste man aufgrund Geldnöten den Betrieb einstellen und wagte erst 2008 wieder einen Neuanfang, ebenfalls in der untersten Amateurklasse und außerhalb der Stadt in Paranhos. Das eigene Stadion wich in der Zwischenzeit einer U-Bahn-Station und auf den übriggebliebenen Mauern werden die Grafittis, die diese Respektlosigkeit vor der Geschichte anprangern, von nostalgischen Fans immer wieder erneuert. Auch die Lissaboner Stadteilclubs Atlético und Oriental haben schon weit bessere Zeiten gesehen; trotzdem versucht man unbeirrt den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten.

Ob die Fußballblase irgenwann platzt, ist schwer zu beurteilen, aber wie in anderen kulturellen Bereichen – Musik beispielsweise – scheint in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ein gewisser DIY-Geist die natürliche (kapitalistische) Ordnung der Dinge, wenigstens ein bißchen, aufzumischen,.

The Music Of JG Thirlwell

Für die bislang überzeugendste visuelle Umsetzung/Interpretation von J.G. Ballards The Atrocity Exhibition von Jonathan Weiss schrieb ein anderer J.G., nämlich Thirlwell, den Soundrack für diese Chronik über den mentalen Zusammenbruchs eines Arztes, der seine Patienten in eine Serie von bizarren Aufführungen einbindet. Ein Konstrukt des Filmes –  bestehend aus einem an einen Antennenmast montierten Stuhl, ein TV – Gerät, einer  Satellitenschüssel und einer Art Gartenzaun – steht immer noch auf dem Dach von Thirlwells Brooklyner Apartment.

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J. G. Ballard

‘I sometimes think that in a sense we’re entering a New Dark Age. The lights are full on, but there’s an inner darkness…because we’re retreating into a sort of mind-set of our pre-rational forebears who lived in a kind of animist world where everything had a spirit – every twig, every stone in a stream… where questions of guilt and anxiety and fear and aggression ruled our reflexes.

It’s an extraordinary development that someone working on the forefront of advanced science and technology should on Sunday put on a different hat, go off and listen to fables spun about a Palestinian resurrection cult 2000 years ago. It’s bizarre, in a way.’ (JGB, conversation with V. Vale, Graeme Revell)

drowned_world

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