Ripples April 2018

April 21st, 2018

Milla. Ein Film von Valérie Massadian

Die schräge Coverversion der französischen Band Ghost Dance des Violent Femmes – Klassikers Add It Up über die Nöte der Adoleszenz unterbricht zweimal den ruhigen, beinahe ohne Worte auskommenden Erzählfluss von Valérie Massadians zweitem Film Milla.
In der ersten Szene mimt Leo – der Filmkritiker von Libération Luc Chessel  in seiner ersten größeren Filmrolle, der hier, schlacksig und mit langen Haaren fast wie der junge Blixa Bargeld aussieht – den Song,  der auf einem schepprigen portablen Plattenspieler dahineiert, überdreht wie ein Rockstar, um Milla, 17 Jahre und schwanger, aufzuheitern.
Denn das Paar ist in eine kleine Küstenstadt am Kanal gefahren/geflüchtet und hat sich in einem verlassenen Haus mit Sperrmüllmöbeln und den Hinterlassenschaften der Vorbesitzer eingerichtet und zelebriert das Leben der Bohème.
In der zweiten Szene spielen Frank Williams und Valentine Carette das Stück in einem Zimmer des verwitterten, klaustrophoben Ferienhotels, in der Milla nach dem plötzlichen Unfalltod von Leo, der sich zwischenzeitlich einen Job auf einem Fischkutter gesucht hatte, sich ihren Unterhalt verdient, sehr over the top und mit einem surrealen Touch.
Valérie Massadian, Französin mit armenischen Wurzeln und von Haus aus eigentlich Fotographin realisierte mit Milla ihren zweiten Film, der wie auch das Debut – Nana – das von einem kleinen Mädchen handelt, das sich im Wald verirrt und teils phantastische, teils unwirkliche Momente erlebt, die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation bewusst unklar lässt bzw. gänzlich aufhebt. Massadian wurde durch die Filme von Pedro Costa und der Begegnung mit Pedro Pinho und João Pedro Rodrigues, deren filmische Philosophie sie, wie sie in einem Interview sagt, dazu motivierte, sich auch dem Medium anzunähern. Die Beziehung zu Portugal ist ohnehin eine besondere. Nana lief dort in den Kinos, während der Film in Frankreich keinen Verleih fand und von den Kritikern eher belächelt wurde. Milla ist eine französisch-portugiesische Co-Produktion und gewann beim letzten DokLisboa-Festival den Hauptpreis. In Frankreich, so Massdon, ist es dagegen, aufgrund meiner Herkunft, meines Geschlechts oder meiner großen Klappe ungleich schwerer von der Kritikerzunft respekiert zu werden.
Séverine Jonckeere, eine nicht-professionelle Schauspielerin, interpretiert ihre Rolle, die wohl mehr als nur eine Spur autobiographische Züge trägt, in beindruckender Weise. Milla ist ein Film, der langsam, ohne jegliche Dramatisation auskommt und wie die Filme Pedro Costas ästhetisch sich fast an ein filmisches Stillleben annähert. Trotz aller widriger Umstände, die die Protaginistin erlebt, wird letztlich doch die “ganz normale” Geschichte wie man als Adoleszente lernt erwachsen zu werden erzählt. Und, es geht um das zentrale Thema, das die Menschheit antreibt: das Versprechen der Liebe und die Möglichkeit bzw. die Unmöglichkeit glücklich zu sein.