Evangelista

November 24th, 2009

Evangelista, Colmar , 9.11.2009

Bloody Claws, Carla Bozulich im Duett mit dem Cellisten Francesco Guerri, lehrte beim spätsommerlichen Météo-Festival in Mulhouse dem scheinbar ‘freie Musik’ – geschulten Publikum mit einem auf die Spitze getriebenen düster-ironischen Auftritt, der von der Attitüde mehr Punk- als Plink Plonk-Spirit inhaliert hatte, das Fürchten bzw. schlug einen Teil gar in die Flucht.

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Charlotte Gainsbourg

November 15th, 2009

Charlotte Gainsbourg – IRM

Lemon Incest, clever in Szene gezetzter Tabubruch, wirkte so nachhaltig, dass Charlotte Gainsbourg ihre musikalischen Ambitionen für rund zwei Jahrzehnte vergaß und dafür im Film vom Nachwuchstalent zur gefragten Charkaterdarstellerin avancierte. Doch 2006 erschien mit 5:55 plötzlich ein ambitioniertes Pop/Chanson-Album von CG, für das sie sich Songs von Air, Jarvis Cocker und Neil Hannon schreiben ließ. Stellenweise wirkte sie auf dem Album allerdings noch wie ihr eigener Gast. Deutlich selbstbewußter und abgeklärter kommt nun ihr Gesang auf dem Nachfolger zur Geltung, ein Album, für das sie Beck als Produzenten und Songschreiber gewinnen konnte: IRM entstand, laut Interviews, in einem Prozess enger Zusammenarbeit von Charlotte Gainsbourg und Beck Hansen – einem Meister der Arrangierkunst und selbst erklärter Fan von Vater Gainsbourg. Er lässt IRM wie aus einer Zeit entstanden wirken, als man eine Platte noch als vierzigminütiges Gesamtkunstwerk ansah und dramaturgisch durchdachte. Eklektisch, üppig und exzentrisch instrumentiert (Streicher, Orchester, holprige Rhythmen, originelle Melodieeinfälle und Chöre), psychedelisch, folkig, schräge C & W- Adaptionen, bei Heaven Can Wait und Time Of The Assassins dann hymnisch-popig, bevor dann bei La Colle Cliomeuse Apollinaire zitiert wird; das Titelstück handelt von CG’s Hirnblutung, die sie letztes Jahr erlitt (IRM ist die franzsösiche Bezeichnung für die radiographische Untersuchung), Chat Du Cafe Des Artistes ist eine Cover-Version des franko-kanadischen Chansoniers Jean-Pierre Ferland von 1972 und der (in-)direkteste Bezug auf S.G. charlottegainsbourg

Broadcast & The Focus Group

November 12th, 2009

Broadcast & The Focus Group – Investigate Witch Cults of the Radio Age (Warp)

Kürzlich starb Edward Woodward, der in dem 1973-er Kult-Horror-Film ‘The Wicker Man’ den bibeltreuen schottischen Polizisten spielte und gegen allerhand heidnische Praktiken auf der abgelegenen Insel (erfolglos) ankämpfte. Nicht nur die Bilder und die Geschichte, sondern vor allem die raffinierte Kombination mit Musik und Toneffekten, lassen Robin Hardys’ Film nach wie vor als zeitgemäß und originell erscheinen. Die Musik ihrerseits, eine äußerst bizarre Vermischung von abgespactem Folk, dunklem Ritualismus und Spät-Hippie-Schlagern, läßt sich problemlos ins Jahr 2009 und in den Zirkel der Künstler und Musiker transportieren, die sich unter dem neu erfundenen Genre ‘hauntology’ wohlfühlen. Zum Beispiel das Birminghamer Duo Broadcast und der Grafiker und Ghost Box-Mitbegründer Julian House. Diese kennen sich schon einige Zeit. – House gestaltete die ersten Plattenhüllen der damals noch als Band fungiereden Retro-Futuristen. Mit The Focus Group, seinem musikalischen alter ego, betreibt er eine gleichermaßen ausgeklügelte wie faszinierende Verbindung von nostalgischer Spurensuche (Archivmaterial aus Radio und TV) und modernster Samplingtechnik. Die nun auch musikalische Zusammenarbeit ist also nur logisch. Trish Keenans’ nach wie vor seltsam entrückter Gesang bekommt man bis auf einige Hintergrundseinlagen nur in den wenigen, konventionellen, als Songs angelegten Stücken zu Gehör. Ihr Broadcast- Partner James Cargill und Julian House fabrizieren das, was man in der inzwischen beliebten Schublade Soundtrack für einen imaginären Film ablegen könnte.

Sachiko

November 10th, 2009

Sachiko- Kunado

Die Sängerin von Japans Psych-Dronern Overhang Party Sachiko macht in den letzten Jahren auch regelmäßig durch ihre hervorragenden Soloalben auf sich aufmerksam. Kunado, auf Utechre veröffentlicht, tut dem keinen Abbruch. Pechschwarz, reduktionistisch ist ihre Musik; wie eine einsame, im Weltraum treibende Seele kommt man sich zwischen den Lautsprechern vor, nur mit Stimme und Elektronik erzeugt sie Tiefe, es oszillieren die Membrane, bevor man dann auf die Route 21 in den Cosmic Garden katapultiert wird, wo dann das Inferno mit einer ätzenden Verbindung von Splatter-Jazz, Maschinenmusik und zerschreddertem Schlagwerk ausbricht. Die Voice From The Border tönt wie durch ein zähklebriges Gebräu gefiltert, bei Gakia No Mori und Chlacona bekommt man durch ein Wesen, das einen gar seltsamen Singsang von sich gibt wieder eine kosmische Meditationspraktik von übermorgen vermittelt. Psychedelish? Das ist nur der Vorname. utechre

The Raincoats

November 1st, 2009

The Raincoats – The Raincoats

Als Nottinghill noch nicht die Yuppies, sondern die Bohème anzog, die sich im damals ärmeren Teil von Londons Westen unter den zahlreichen Einwanderen aus den Ex-Kolonien wohlfühlte – Colin Macinnes hat daraus eine Trilogie gemacht -, war dies ein idealer Ort für Subversionen jeglicher Art und ebnete zwanzig Jahr später logischerweise auch den alternativen, politisch motivierten Vertretern des Punk den Weg. Der Rough Trade – Laden in der Talbot Road als Nervenzentrum und Informationsaustauschbörse für ständig neu gegründete Bands, die sich von der ersten Welle musikalisch inspirieren ließen, aber im Gegensatz zu diesen, nicht versuchten, bei einem der großen Labels unterzukommen, sondern ein D.I.Y.-Ethos lebten. The Raincoats waren trotz der Vielfalt an neuen Bands und Stilen speziell, neben den Slits und Kleenex waren sie einerseits bei der Gründung eine der wenigen Frauenbands, sie hatten einen feministischen und politischen Anspruch und wagten sich stilistisch in ungewohnte Terrains vor. Gina Birch stammte ursprünglich aus Nottingham, Ana Da Silva zog von Madeira nach London. Beide lernten sich am Art College kennen, wie man das in GB scheinbar immer tut. Palmolive von den Slits spielte Schlagzeug und mit Vikkie Aspinalls’ Violine rücken sie schon einmal von der reinen Lehre des Punk ab. Odyshape, ihr zweites Album, das mit esoterisch-versponnener Folk-Avantgarde so weit wie nur möglich von jeglichen Rockismen abrückte, ist in den Kanon der Alternativkultur der Achziger aufgenommen worden, aber schon das Debut ist auf seine Art ein Meilenstein, der auch die Richtung der ersten Rough Trade – Jahre prägte, als dort die wichtigste und kompromissloseste Musik der Dekade veröffentlicht wurde. Auf The Raincoats kann man die Gruppe sich in Echtzeit entwicken hören. Sympathischer Diletantismus mischt sich mit Ambition und Experimentiergeist; Birchs vom Rock und Da Silvas irgenwie von der portugiesischen Folklore inspierieten Songs ergeben eine holprige, schrille aber nichtsdestsoweniger subtile Musik, die sich auch heute, dreißig Jahre später (ähm…), unverbraucht anhört. Lange Zeit vergriffen, ist das Album nun von der auch wieder aktiven Gruppe selbst wiederveröffetnlicht worden; vertrieben von Rough Trade, so schließt sich der Kreis. (theraincoats.net)