Ripples

July 14th, 2019

Rimarimba – Below The Horizion / On Dry Land / In The Woods

Das Freedom To Spend – Label beschert uns mit den Wiederveröffentlichungen der Rimarimba – Alben, die in den 1980ern auf Kassetten bzw. Below the Horizon auch in einer lizensierten Kleinstauflage als Vinyl bei Cordelia Records erschienen, verschollen gegangene bzw. unter dem Radar der Presse und Radios gebliebene Klassiker der damals aus dem Post-Punk entstandenen blütentreibenden Avantgarde. Das Kassettenformat war das perfekte Medium für diese überzeugten Eigenbrötler und Außenseiter, die abseits von den Großstädten und fern aller Szenen an ihrem Mikrokosmos feilten. Nichtsdestotrotz war ihnen an einem Austausch und an Kommunikation mit ähnlich Veranlagten gelegen. Robert Cox, Multiinstrumentalist und Musikinstrumentenbauer aus Felixstowe, gründete Unlikely Records als Tape-Label, um seine Musik auch für andere zugänglich zu machen und um zu tauschen. Mit einer Marimba und einer Vielzahl an selbst konstruierten elektronischen Instrumenten begab er sich zuhause einerseits auf die Spuren von Neuen Musik-Größen wie Reich, Xenakis oder Ligeti, nur um einen Wimpernschlag später wieder all das zu vergessen, und um mit elektro-aktustischen, Tape-Experimenten und ethnologisch-folkloristischen Elementen und Psychedelica zu experimentieren. Kaum zu glauben welche Schätze damals von der Welt beinahe ungehört in einer Parallelwelt in Wohn- und Schlafzimmern lagerten.

Wären nicht artverwandte Musiker mit zusätzlichem Vernetzungstalent wie Alan Jenkins gewesen, der selbst mit den Deep Freeze Mice einem Außenseiterdasein frönte, aber es mit Cordelia Records dennoch zustande brachte all die musikalischen Kostbarkeiten, die er durch Kassettentauschen erwarb als Schallplatte zu veröffentlichen. Neben  Leven Signs, Robert Stevie Moore, Dolly Mixture, Mr. Concept, der Obscure Independent Classics – Reihe wurde auch Below The Horizon von Rimarimba diese Ehre zuteil. Obwohl die Rimarimba – Alben alle die unverwechselbare kompositorische Handschrift von Robert Cox tragen und stilistisch sich ähneln, lässt sich doch wunderbar die Entwicklung der zu Beginn noch wildwüchsigen Ideen zu immer komplexeren und weirderen Kompositionen neu entdecken. Below the Horizon bündelt auf der ersten Seite mit seinen kurzen Stücken so ziemlich alle musikalischen Stile abseits des Mainstreams, von beschwingten melodischen Marimbaminiaturen über dunkle, schwabernde Synthieschlaufen zu free-jazzigen Klavierminiaturen zu ambienten Klanglandschaften, die einem Brian Eno zur Ehre gereicht hätten, von rhythmisch-feinen Perkussionsstücken im Stile von Midori Takada, von der akustischen Gitarre geprägten Kleinode bis zur elektro-akustischen Geräuschmusik. Das die ganze zweite Seite einnehmende Bebag schöpft aus der gleichen Vielfalt an Einfällen, drückt aber hinsichtlich der Aufmerksamkeitsspanne auf die Bremse.

On Dry Land, das zweite Album von 1984, verfeinert den Rimarimba-Stil mit found Sounds, Tape Collagen und spielt noch mehr mit melodischen und atonalen Elementen im bipolaren Wechsel. Die erste Seite wirkt leichter, ist dominiert von vertrackten melodischen Stücken, die zweite wirkt atmosphärischer, lässt Drones und an Nurse With Wound und Zoviet France erinnernde psychedelisch osszilierende Klangflächen zum Zuge kommen.
In The Woods schließlich bietet die gleiche spannende Vielfalt, vielleicht noch eine Spur virtuoser komponiert und montiert, ohne aber im mindesten die konsequente Haltung eines Klangforschers außer acht zu lassen. Robert Cox lässt sich für jeweils einen Moment von den Gitarrenkniffs eines Robert Fripps oder Vinny Reiley inspirieren, um dann auf dem Klavier den Freigeist zu geben und dann wieder einen Moment später fiebrig auf der Marimba und dem Glockenspiel sich überschlagende Melodien zu hämmern. Seine latente Affinität für Progrock lebte Cox dann bei The Same mit dem Album Sinc Or Swim aus, ein weiteres Soloprojekt, das ebenfalls auf seinem eigenen Label erschien.
Ein gesundes Maß an Isolation in einer Zeit, in der der Austausch und die Kommunikation via Schneckenpost stattfand, hat eine faszinierende musikalische Diversität ermöglicht. Dass außer den Enthusiasten für die beinahe klandestine Welt der Kassettenlabels kaum jemand von diesen “Ripples in the Ocean of Sounds” erfuhr, ist eine andere Geschichte. Immerhin scheinen die meisten Musiker, die in ihrem Wohnzimmer produzierten, ihre Aufnahmen archiviert zu haben, so dass es nun zu den Neuauflagen kommen kann. Dem Weltruhm steht nun nichts mehr im Wege.
Freedom To Spend

Ripples

July 2nd, 2019

Antologia de Música Atípica Portuguesa Vol. 1 und Vol.2

 

Auf dem formidablen Discrepant Label – einer wahren Schatzgrube unorthodoxer Klänge – das vom portugiesischen Musiker und Labelchef Gonçalo F. Cardoso von London aus betrieben wird und das eine globale Ausrichtung und ein offenes Visier für unterschiedliche experimentelle Musikstile hat, erscheinen auch immer wieder Platten mit Musik aus seinem Heimatland. Die ersten beiden Folgen der Música Atípica Portuguesa-Reihe sind gelungene Versuche, in einem Spagat traditionelle Lieder oder Zitate von zeitgenössischen Musikern aus den Randbereichen der alternativen Szene, dekonstruieren bzw. neu beleuchten zu lassen, und dabei ihre Essenz zu bewahren. Teilweise erschienen die Stücke schon auf Kassetten und Platten der Musiker, allerdings in absoluten Kleinstauflagen. Die übergeordneten Themen Arbeit (Vol.1) und Regionen (Vol. 2) sollen die Kompilationen – zugegeben etwas bemüht – strukturieren. Die Serie ist nicht zuletzt aber auch eine Hommage an den frühen Soundartisten und Musikethnologen Michel Giacometti, der über einen Zeitraum von dreißig Jahren in Portugal traditionelle Musik aufnahm.
Die schleppenden, manipulierten Gesänge, die von Live Low aus Porto genüßlich auseinandermontiert werden, erföffnen die Vol. 1. ; Antiplot heißt das Stück. Marlene Ribeiro, die bei Gnod aus Salford spielt, zeichnet unter dem Künstlernamen Negra Branca schon für größer angelegte Projekte in Eigenregie verantwortlich. Ihre Komposition, die von minimalistischen Perkussions und einer gesungenen Meldodie getragen ist, erinnert an längst vergangene Feldversuche auf dem Gebiet der zeitgenössischen ethnologischen Musik wie die von Jan Steeles und Janet Sherbournes Albanian Summer. Diese filigrane Musik darf gerne als ein schöner Widerspruch zur krautigen Ernsthaftigkeit ihrer Hausband stehen bleiben. Die Lissaboner Jazz – und Free Music-Szene versammelt sich bei EITR’s Stück Cicuta, das den Geräuschen einer Dampflok nacheifert. Luar Domatrix transzendiert ein Lied aus dem Alentejo in eine gespenstische zerschredderte Collage, Gonzo aka Gonçalo F. Cardoso schlägt in die gleiche Kerbe.
Tiago Morais Morgado beweist im kurzen Laurindinha seine Fähigkeit zur Vokalakrobatik, bevor Filipe Felizardos Gitarrenkaskaden zwischen Ruhe und Krach oder zwischen Durst und Tod (Sede e Morte) aufrütteln. Gonzo und Luar Domatrix tun sich für Já Lá Gritam No Calvário zusammen, bevor dann die beiden Künstler/Musiker aus Porto Calhau! wieder ein Beispiel surrealistischer Verdrehtheit präsentieren, ähnlich wie auf ihrer famosen Platte für Kraak. Peter Forest beschließt dann die Platte mit einem Hörspiel der anderen Art.
Noch stringenter und durchdachter abgestimmt hört sich die Vol.2 an. Diana Combo, die u.a. im Trio mit David Maranha und Filipe Felizardo spielt, aber vor allem auch ihr Soloprojekt EOSIN verfolgt, eröffnet die Platte mit dem hypnotischen Por Riba, das tatsächlich perfekt die Schnittstelle zwischen Tradition und Heute auslotet und an die Musik von Banda da Casaco erinnert, die in den turbulenten Zeiten der Post-Revolution auch, nicht nur musikalisch, zwischen den Stühlen standen.

Ondness komponiert abstrakte Elektronica in Autechre – Manier. Rui Carvalho bzw. Filho da Mãe ist einer jener famosen Gitarristen, von denen Portugal viele hat und die zwischen dem Übervater Carlos Paredes und der Moderne sich bestens aufgehoben fühlen. Live Low tauchen mit einem weiteren herausragenden Beitrag auf, auch hier erinnert die Verbindung von Gesang und einer folkloristisch-angehauchten Melodie an Banda da Casaco, allerdings in Porto elektronisch auf den neuesten Stand gebracht. Das Lissaboner DJ-Duo Banha da Cobra, das einem schon beim Kraak-Festival 2018 begegnet ist, schleicht sich durch Asylio, einem fein-ziselierten metallenen Track. Die musikalischen Feldforscher Fantasma und Gonzo bewegen sich am nächsten an Michel Giacometti, wobei sowohl Lamento das Beiras wie Tromba Rota so dekonstruiert sind, dass das Konkrete nur noch erahnt werden kann. Auch die zweite Folge endet mit einer Art aufgepeppten Hörspiel vom Lande, das nach einer Unterhaltung im Gebimmel von Kuhglocken ausläuft…

http://www.discrepant.net