Ripples April 2013

April 29th, 2013

Veronica Falls – @ Noumatrouff Mulhouse
Haiku Salut – Tricolore
Strange Idols – Idolatry
Bona Dish – The Zaragoza Tapes
The Pastels – Slow Summits
Cherry Red veröffentlicht diese Tage eine opulente 5 CD-Box – Scared To Get Happy, A Story Of Indie Pop 1980 – 89 -, die sich der exklusiv britischen, vom Glasgower Postcard Records und Alan Horne einige Jahre zuvor kreierten, mit Theorie und Romantik aufgeladenen Facette des Post-Punks widmet. Der allgegenwärtigen Trostlosigkeit jener Zeit setzte man den Sound Of Young Scotland bzw. dann Young Britain entgegen: die Annäherung an den idealen Popsong, gespielt mit der Energie des Punks.
Dem Londoner Quartett Veronica Falls, das angesichts der Livepräsentation des zweiten Albums Something To Happen auch im Mulhouser Noumatrouff konzertierte, darf nicht unterstellt werden, dem Genre Artpop revolutionär Neues hinzufügen zu wollen.

 

Die kurzen, schnellen im Harmoniegesang von Sängerin und Gitarristin Roxanne Clifford und Gitarrist und Sänger James Hoare gesungenen, allerdings teilweise genialen, Schrammelpophymnen, stehen beinahe ungebrochen in der Tradition des 60er Jahre-Beats, den Girl Groups jener Zeit, Velvet Underground und Früh-Achziger Bands wie Shop Assistants, The Hangman’s Beautiful Daughter und Revolving Paint Dream. So weit, so überraschend. Andererseits verbirgt der samtene Gesang Cliffords in Stücken wie Beachy Head oder Found Love In A Graveyard manch dunklen Inhalt und subtile Gemeinheit. Und Parallelen zu den Neo-Psychodelikern des Londoner Wham! und The Living Room – Umfelds der Frühachziger, als das Motto Art For All. All For Art mit DIY-Emanzipation und politischem Protest einherging, kann angesichts vergleichbarer misslicher Zustände im Vereinigten Königreich und anderswo nicht ganz verkehrt sein.
Bona Dish, gleichfalls eine Londoner Band, die aus zwei weiblichen und zwei männlichen Mitgliedern bestand, hatten dreißig Jahre zuvor ein ähnliches Konzept aufzuweisen. Die Rough Trade – Pionierzeit gerade um ein Jahr verpasst, waren sie zwar von den schrägeren Hinterlassenschaften des Punks, VU & anderen Sixties-Bands und der Nouvelle Vague inspiriert, trotzdem spielten sie in erster Linie klassischen britischen Low-Fi Powerpop. Klassisch war auch ihre Halbwertszeit, gerade einige Kassetten umfasste ihr Oevre, das nun locker auf einem Album Platz findet, bevor sie wieder separate Wege gingen. Trotzdem kann man sein Geld für weit Dümmeres als diese Wiederveröffentlichung ausgeben. Dolly Mixture, Lora Logic oder Kleenex hatten zu jener Zeit ähnliche Obsessionen, auch hinsichtlich DIY-Philosophie, Produktionsbedingungen und Modestil wie Bona Dish gehabt. So hätten die Stücke auf Zaragoza Tapes mit ihrem schrägen Charme und den vereinzelten Ausflügen in das Gebiet des Experimentellen und Sperrigen, in Dub und Jazz, durchaus auch in den Kanon des Post-Punk aufgenommen gehört.
Für die Zeit nach 2000 hoffnungslos old-school-mäßig und mit einer Leidenschaft für Stu Sutcliffe, Syd Barrett, Orange Juice und nicht zuletzt den Konzeptkünstlern schlechthin unter den Indie-Bands  – Felt -, deren Album Strange Idols Pattern and Other Short Stories bei der Namensfindung Pate stand, ausgestattet, gaben sich Strange Idols, die aus vier bücherwurmigen Jungs und einer adretten Sängerin bestanden. Mit Gleichgesinnten wie Saloon und The Long Blondes hatten sie es schwer genug gegen das in der Musikszene gerade wieder ungestraft durchgehende Mackertum anzukommen. Strange Idols standen für die Zeitdauer von drei Singles und einigen Demos für Leidenschaft und klassische Indie-Songs mit Substanz, die vom reizvollen gesanglichen Kontrast des Baritons des schottischen Sängers und der kristallklaren südenglischen Vokalistin lebten und teilweise an die besten Momente Edwyn Collins und Josef K’s erinnern.


Gemma Barkerwood, deren Schwester Sophie und Louise Croft, machten offenbar, nachdem sie in einer einheimischen Punkband in den Midlands spielten, eine seltsame Metamorphose durch. Haiku Salut hat sich demzufolge weniger historische als zeitlose Musik auf die Fahnen geschrieben. Auf ihrem Debutalbum überrascht das Trio – Haiku, japanische dreizeilige Gedichte, Tricolore, got it? – mit seiner subtilen und famos wandelbaren, von kurzer Aufmerksamkeitsspanne bestimmten Salon-Kammer/Hausmusik, einer teils melancholischen, teils beschwingt-treibenden Mèlange aus akustischen – Gitarre, Akkordeon, Perkussion, Piano, Violine etc. und vereinzelten elektronischen Einsprengseln. Die drei Frauen sind unüberhörbar von europäischen Filmkomponisten beeinflusst. Die permanent wechselnden Stimmungsbilder üben einen unwiderstehlichen Sog aus. Tricolore darf ganz unbescheiden neben den besten Alben des Penguin Café Orchesters, der Fireside – EP von Dolly Mixtures, den frühen Alben Pascal, Comelades und Yann Tiersens eingereiht werden.
Zählt man eine EP mit Filmmusik ( The Great Wilderness) und einer Kollaboration mit den wesensverwandten japanischen Tenniscoats nicht hinzu, dauerte es schlappe sechzehn Jahre, bis The Pastels, zweifellos eine der Pionierbands des Genres, sich zurückmeldete.
The Pastels, eigentlich Stephen McRobbie und Katrina Mitchell im Kern plus jeweils befreundete Gastmusiker wie Stefan Schneider, Ronald Lippok oder Norman Blake, bewegen sich mit Slow Summits, das wieder von John McEntire mitproduziert wurde, stilistisch und inhaltlich natürlich nicht allzuweit von ihren früheren Platten und der Glasgower Tradition des Anorak-Pops weg. McRrobbie ist seines Zeichens u.a. Mitinhaber eines der besten Plattenladen der Insel, Monorail, das in einem sympathischen Backsteinbau unweit der Glasgower Innenstadt auch ein veganisches Café mit Restaurant, eine Second-Hand Boutique und eine kleine Bühne für Auftritte von Undergroundkünstlern beherbergt. In den Achzigern betrieb er mit dem früheren Shop Assistans-Gitarristen und heutigen The Wire-Schreiber und Plattenversandspezialisten David Keenan 53rd & 3rd Records; und heute alleine Geographic Records (Heimat für die feinen musikalischen Pinselstriche von u.a. Maher Shalal Hash Baz, Nu Forest, Bill Wells oder Nagisa Ni-te).
Er begeistert sich gleichermaßen für klassischen Sixties-Pop, Avantgarde, Jazz oder aktuell Raime und Ela Orleans und trotzdem sind The Pastels immer The Pastels. Slow Summits mit seinen nostalgischen, aber auch immer irgendwie der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entrückten, versehentlichten Pophits erscheint in einer Zeit, in der die ehemaligen Vorreiter in verschiedenen Spielarten der Künste durchaus wieder gefragt sind. Um Flugzeuge am Sommerhimmel, Friedhöfe, Regen, das Treten nach herumfliegenden Blättern im November und andere, schwer romantische Begebenheiten und Dinge geht es bei den Songs auf Slow Summits, die jeweils von Stephen McRobbie oder Katrina Mitchell oder im Beiden interpretiert werden und deren traditionell melancholisches Flair durch die zusätzliche Instrumentierung mit Flöte, Trompete bis zur Orchestrierung teilweise so verdichtet ist, dass die Stimmung ins Zwischenlichtliche driften kann.

Bona Dish
Strange Idols
Haiku Salut
The Pastels

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