Ripples Mai 2011
May 23rd, 2011
Atem 1975 – 1979
Schwer vom Kraut- und Progressiverock, später auch von den experimentellen Absplitterungen des Punk, infiziert, gaben Pascal Bussy und Gérard Nguyen zwischen 1975 und 1979 mit ATEM ein Fanzine/Magazine heraus, das es zuvor in dieser Art thematisch und konzeptionell noch nicht gegeben hatte: Ausführlich und komplex, subjektiv aus einer Fanperspektive, aber andererseits auch reflektierend geschrieben, ging es in den 17 erschienenen Nummern ausschließlich um die Außenseiter der Musikgeschichte. Die ATEM-Schreiber operierten auch als Labelbetreiber. Später entstanden aus diesem Umfeld Avantgarde- Labels wie Tago Mago und Les Disques Du Soleil. Alles schon lange Geschichte! Drei Jahrzehnte sind inzwischen vergangen: Gérard Nguyen stellte nun eine Auswahl der wichtigsten Artikel und Interviews von ATEM für ein Buch zusammen. Die Beiträge über u.a. Can, Henry Cow, Peter Hammill, Nico, Suicide, Throbbing Gristle, Magma, Steve Reich, The Residents machen wieder einmal bewußt wie stilprägend und einflussreich diese Protagonisten der experimentellen Rockmusik auch hinsichtlich aktueller Musiktendenzen waren und sind.
Atem 1975 – 1979, Une Sélection d’articles et d’interviews, Camionblanc.com
Domino 15 : Ein Abend mit Wu Lyf, The Beautiful Band und Spookhuisje
Welch Talente, Geheimtipps und Hochkaräter der experimentellen Gegenkultur bei den vierzehn vorherigen Ausgaben des Brüsseler Domino-Festivals schon auftraten, listet das Programmheft des in diesem Jahr nun zum letzten Mal stattfindenden Ereignisses nochmals auf. Für meine späte Premiere habe ich mir dummerweise den Abend mit Spookhuisje, The Beautiful Band und Wu Lyf ausgesucht, alle noch ohne offizielle Veröffentlichung, aber als sagenumwobende Verheißungen gehandelt. Während man sich tagsüber in den Straßen von BX mit der Fünften Zombie Day Parade schon mal in Gruselstimmung bringen konnte, packte einen der wahre Horror allerdings erst am späteren Abend im legendären AB (Ancienne Belgique). Spookhuisje, Brüsseler Hoody – Nerd, gab den psychedelisiert-geheimnisvollen Gitarrenmaestro, mehr konventionell und grundsolide als ‘haunted’. The Beautiful Band – mit Ignatz, Paul Labreque von Sunburned, Él-G, Patrick Calvelo von Monokiri und Laurent Cartuyvels vom R.O.T. – Ensemble theoretisch nicht zu unrecht als Supergroup des Abseitigen angekündigt – schafften es dann mühelos mit einem The Cream-Revivalband-Verschnitt die Stimmung ins Reaktionäre zu transportieren; ihre Musik völlig ungebrochen und ohne Bezug zu irgendeiner zeitgenössischen Tendenz der letzten dreißig Jahre. War der Auftritt der Beautiful Band nur redundant, präsentierten sich die Headliner Wu Lyf ungebremst als unsympathische Ekelpakete. So mysteriös die bislang raren Infos (Wu Lyf steht für World Unite – Lucifer Youth Foundation), so überschwänglich die Reviews der Presse – eine Mischung aus Krautrock, Gospel, Rap Noir, Spiritualized und The Swans – so unfassbar bieder und althergebracht dann letzlich der Auftritt. Ein komplett uninteressanter Verschnitt aus Afropop und öligen, überkanditelten Theatralik- Balladen wurde künstlich hochgejazzt (der Sänger und Keyboarder, ein Bryan Adams des Underground, strippte sich aus schierer Emotionalität schon nach dem ersten Stück den Oberkörper frei). Und, handelt es bei Manchester tatsächlich um eine englische Stadt? Wu Lyf untermauerten die Behauptung, dort habe man noch nie etwas von Selbstironie oder Humor gehört wieder aufs Nachthaltigste. Dies, immerhin, ist ihnen gelungen.
Glasser : True Panther Sounds
Die Band präsentierte sich in ihren Raumfahreroveralls wie die späten Nachkommen von Devo, Sängerin und Komponistin Cameron Mesirow AKA Glasser gab sich in Straßburg kontrastiernd als alternative, post-hippieeske Queen of Siam, die zwischen der Besatzung tänzelnd auf einem imaginären Seil durch den Raum balancierte. Die vertrackt-exotischen Perkussions und die warmen Keyboardmelodien sind das perfekte Backgroundarrangement für Mesirows Gesang, der live gleichermaßen wie auf Rings, dem Album, fasziniert. Glasser und die kalifornischen Kolleginnen von Warpaint und Zola Jesus stehen für eine Form von Goth Light, der mehr einen leichten Eso- als Punkeinschlag hat. Sympathisch, aber phasenweise dann doch zu sehr Kaffeehausmusik.
Jimmy Campbell and When The Skies Are Grey
Jimmy Campbell, talentierter Mersey-Beat-Protagonist, scheiterte mit seiner Karriere wie schon so viele andere Liverpudlians an den eigenen Dämonen. Die Kombination – mangelndes Selbstbewusstsein und extremes Lampenfieber mit Alkohol zu lindern, eine Weigerung Kompromisse einzugehen und eine ausgeprägte Heimatverbundenheit, die jeden Schritt außerhab der Stadtgrenzen zur Qual werden lassen, hatten zur Folge, dass nur drei Jimmy Campbell-Alben mit mäßig kommerziellem Erfolg erschienen. (Campbell starb 2007). Als Geheimtipp des psychedelischen Folks wurden Stücke von ihm allerdings immer wieder gecovert. Einen seiner seltenen Auftritte, der an der Essex University 1977 von einem Fan im kleinsten Rahmen organisiert und aufgezeichnet wurde, erschien nun auf dem Liverpooler Viper – Label: Jimmy Campbell – Live 1977 (nur als Download). Mit einem Repertoire aus unveröffentlichten Stücken und einem Querschnitt aus den Alben kann man ihn hier, solo mit Gitarre, ungekünstelt in Bestform hören.
Den Hinweis auf Campbell konnte man übrigens in When Skies Are Grey, einem Fußballfanzine lesen! In den 1990ern erschienen in Großbritannien – und manchmal auch anderswo – zahlreiche Fanzines rund um den Fußball, die auch über Musik und Popkultur schrieben. Diese Szene ist praktisch nicht mehr vorhanden; meist erscheint nur noch eine Webversion oder eine Abkupferung des offiziellen Stadionmagazin (dasselbe geschah im Musikbereich in den 1980ern, als ein Großteil der Fanzines versuchte Spex oder den NME zu kopieren). Ein Newcastle United – Fanzine berichtet gar direkt von der Front aus Afghanistan, wo sich ein Schreiber/Soldat aufhält. WSAG, ein Everton-Fanzine, dass mittlerweile 161 Ausgaben auf dem Buckel hat, ist da im Vergleich old school, teilweise politisch, ironisch und neben dem Ball auch nach wie vor an Musik interessiert (nebenbei muss gesagt werden, dass es sich beim EFC, einer im Vergleich zu den anderen Premier League-Klubs armen Kirchenmaus, wo noch auf aus der eigenen Jugendabteilung entsprungene Liverpooler Talente gebaut und einem altehrwürdigen old-fashion Stadion spielen gespielt wird, objektiv um einen sympathischen Klub handelt). WSAG pflegt immer noch einen gewissen Punk-Spirit, was natürlich auch am Alter der Herausgeber liegen mag. So heißt es zum Tod von Poly Styrene beispielsweise: “So Poly, Arianna, Trish all dead, Annie – my music’s shit so I’ll espouse every cause going just to keep my stupid Chris Martin/Valerie Singleton grid on the front of the Guardian Magazine every other fucking week – Lennox alive.”
Ilitch – La Maieutique De La Quantique
March 27th, 2011
Das Londoner Angular Label, deren Betreiber während der Recherchen für ihren Minimal/Cold – Wave – Sampler tief in den Kassetten – und sonstigen Untergrund der Achziger abtauchten, verdienen sich auch für die Wiederveröffentlichung des subtil ironischen Meisterstücks Polaroid/Roman/Photo der (teils fiktiven) Formation Ruth (aka Thierry Müller) Lob. Thierry Müller / Ilitch beschreitet mit seinem neuen Album La Maieutique De La Quantique nun allerdings wieder einen ganz anderen Weg. Das Cover ziert das chaotische Durcheinander einer entrümpelten Wohnung. Tabula rasa ist zweifelsfrei auch das Motto der Musik. Bei den Live-Improvisationen – in der Besetzung Thierry Müller (Guitars, Keyboards), Patrick Müller (Elektrosonik, Synthesizer), Franq De Quengo (Drums, Electronics) und Fred Nipi (Analog Modular System, Noises) eingespielt – hat man es weder mit den new wavigen, noch den sphärisch elektronischen Stücken, die Müllers Ouevre auch ausmachen zu tun. La Maieutique De La Quantique ist in erster Linie eine karthartische, raue Gitarrenplatte. So staubtrocken produziert, dass selbst ein Steve Albini den Hut ziehen müsste, würde er sich für experimentelle Musik interessieren, dominieren Thierry Müllers erdige, fräsende Gitarrenattacken/Feedbacks. Störgeräusche, elektronische Verfremdungen und ein stoisches Schlagzeug fügen sich ein und beschwören eine punkig-apokalyptische Stimmung, die in ihrer unnachgiebigen, unheilschwangeren Düsterheit und Konsequenz an die Zeiten von Shub Niggurath, Univers Zero und Metal Urbain gemahnt. Auf dem 15 – minütigen pulsierenden, zentralen La Quantique De La Maieutique driftet Ilitch dann doch noch vom Planet Erde langsam in eine ferne, dunkle Galaxie.
ilitch
Alan Jenkins And The Thurston Lava Tube – Free Surf Music
March 27th, 2011
Mit der “Allstar – Recommended Records – Formation” Vril (Bob Drake, Lukas Simonis, Chris Cutler ), die von sich behauptet, eine intellektuelle oder auch eine C21- Version einer Surfmusikband zu sein, tourt er derzeit als Gastgitarrist. Mit seinem eigenen Projekt The Thurston Lava Tube hat Alan Jenkins in der letzten Dekade das Genre mit ähnlich Vertracktem und der ihm eigenen Kombination aus Understatement und Sophistication allerdings gleich auf wahnsinnigen acht Platten durcheinandergebracht, zahlreiche schräge Hommage – Kompilationen mal ganz außer acht gelassen. Cordelia Records, was waren das für Zeiten in den 80ern, als in erster Linie im deutschsprachigen Raum und den Benelux-Ländern The Deep Freeze Mice und etwas später The Crysanthemums (die Fusion mit Hamster – Boss Terry Burrows) den DIY-Untergrund vom Post-Industrial ins subversive Pop-Nirvana manövrierten? Kommerziell sprang dabei naturgemäß wenig bis nichts raus. Durch das unbezahlbare Engagement von Joachim Reinbold aka JAR, der zahlreiche Platten zuerst per Postversand, dann in Lizenz und dann in Eigenregie vertrieb, veröffentlichte und später Tourneen organisierte, erwarben sich die Cordelia – Bands allerdings einen ausgezeichneten Insider-Ruf für exzentrische Popmusik. Seit Reinbolds Rückzug aus dem Geschäft ist das Nervenzentrum wieder ausschließlich in den britischen Midlands beheimatet, wo – wie auch noch weiter nördlich – eine scheinbar unstillbare Sehnsucht nach dem leichten Leben am Strand als Kompensation für ein (postindustrielles) Leben weiterhin wundersam-obskure Blüten treibt (Surfin Dave hat man noch in Erinnerung, die Girlbands Hotpants in Romance und Poppy & The Jezebels sind zwei aktuelle Beispiele). Die ersten drei Lava Tube – Alben, von denen die ersten beiden plus die EP Pour Quoi Pas Moo nun auf 80 Minuten zusammengepackt als CD erhältlich sind, sind vielleicht – trotz oder gerade dem verqueren, aber dann doch irgendwann vorhersehbaren Popvarianten der Vorläufer The Creams und Ruth’s Refrigerator das Innovativste seit der legendären Doppel – LP der Deep Freeze Mice. Auch beinahe ohne Gesang und Text ist Jenkins oft beschworene Subversität omnipräsent. Titel wie A Murderer, A Mass Murderer and a Man in a Bri-Nylon Shirt, I Was A Teenage Camel, Christmas in the Measles Ward at The Battersea Dog’s Hospital oder Plague of Cows bedürfen selbstverständlich keiner weiteren Erklärung. Leicht wacklige Surf-Gassenhauer wechseln sich mit improvisatorischen Klangcollagen ab, die trotz Finesse immer noch näher am autodidaktischen Post-Punk Gestus als am Impro-Kanon beheimatet sind.
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Moon Wiring Club – A Spare Tabby At The Cat’s Wedding
March 27th, 2011
Ian Hopkins hat mit seinem Blank Workshop, der imagninären Stadt Clinkskell, semi-realen Heritages, tourist boards und dem Moon Wiring Club, in dessen Örtlichkeiten und Räumlichkeiten allerhand Séancen zum nachspielen stattfinden, einen eigenen Kosmos des phantasievollen Bizzarren kreiert. Hopkins ist ohne aufzuschneiden Illustrator, Comickünstler, Psychogeograph, Hypnagog, Musiker in einem. All das und noch viel mehr ist auf der Website herauszufinden.
Verwirrung ist auch das Motto der aktuellen Platte des Moon Wiring Club – A Spare Tabby At The Cat’s Wedding an, ist doch das Album inhaltlich in einer völlig voneinander verschiedenen Vinyl und CD – Version erhältlich. Ian Hopkins freundliche Aufforderung zum dérive und détournement ist also ernst zu nehmen. Er mischt TV-Schnippsel, altertümliche Synthesizerklänge und eine Verehrung für die aufklärerischen, akademischen BBC Informationssendungen aus den 60ern und 70ern zu phantasievollen, warmen Collagen, die in ihrer Buntheit den Illustrationen nicht nachstehen. Aufgrund des freien Zitierens und Collagierens mit Samples ist der Moon Wiring Club natürlich genreverwandt (und nebenbei auch befreundet) mit dem Ghost Box und Mordant Music – Musikern; Ian Hopkins verfolgt in seinen Stücken wiederum weniger deren Kultivierung des subversiv Unheimlichen, sondern geht seiner persönlichen Vorliebe für Hip Hop Beats und überdrehten Melodien nach.
blankworkshop
Warpaint – The Fool
Die minimalistische, kühle Eleganz ihrer Musik ähnelt sich, aber Warpaint verhalten sich zu XX wie die ganze Farbenlehre zum Monochromen. Die vier Musikerinnen stammen schließlich auch aus Süd-Kalifornien und nicht aus dem zugigen Süd-London. Warpaint wildern in den weiten Jagdgründen der New Wave -Subgenres. Die melodischen, glockenhellen Gitarrenparts könnte ein Steve Severin oder ein Robert Smith nicht besser spielen, der Bass klingt wie von Martin Hannett abgemischt und die versponnenen, manchmal ätherischen Gesangparts klingen nach dem kalifornischen Paisley-Underground à la The Dream Syndicate / Kendra Smith. Psychedelisch verquirlt und meist mehrstimmig gesungen sind Warpaints ‘Goth Light Stücke’ (no offence!) eingängig und clever zugleich. Auch erlauben sie sich hin und wieder eine Abweichung von der Stringenz ins labyrinthische Freak Out – Land. (Warpaint)