Ripples Oktober 2011

October 22nd, 2011

Factory Star – Enter Castle Perilous

Factory Star ist die seit 2008 existierende, neue Band von Martin Bramah. The Fall-Gründungsmitglied – natürlich – mit The Blue Orchids führte er 1982 wochenlang die Independent-Charts an, mit einer Musik, die heute zu rauh und unfertig klänge, um überhaupt gehört zu werden. Oder? Das ist also völlig überraschend und unerwartet der Anknüpfungspunk für Enter Castle Perilous. Das Album wurde unter Live-Bedingungen im Studio eingespielt. Die Stimmung ist eine trübe, die Befindlichkeit eine misserable, von der Laune gar nicht zu reden. Dabei lesen sich Titel wie The Fall Of Great Britain, Arise Europa! oder When Sleep Won’t Come natürlich zeitgemäßer als vielleicht ursprünglich gedacht. Bramah brummelt sich in bester Manchester-Manier durch die Stücke, Gitarre, Bass und Drums trashen knorztrocken und präzise, die Keyboardlinien von Hop Man Jr. und die Backing-Vocals von Ann Matthews (von der unterbewerteten walisischen Band Ectogram) setzen die melodischen Kontrapunkte. Die Musik also altmodisch, aber nicht aus der Zeit gefallen: Black Comic Book, erwähntem When Sleep Won’t Come und New Chemical Light sind drei der stärksten Bramah-Kompositionen, die sich mit Work, A Year With No Head und Agents Of Change messen können.

Occultation

 

Magazine – No Thyself

Mit Howard Devoto, inzwischen 59 Jahre alt, legt ein weiterer wegweisender New Wave – Grantler seinen Postkarrieren – Job ( Fotoagentur) auf Eis und meldet sich wieder zu Wort, die Zeiten scheinen auch ihn zu inspirieren. Devotos Texte waren bei all seinen Projekten immer mindestens nah am Genialen, musikalisch überzeugten nach Real Life aber vor allem sein Solo-Album Jerky Versions Of The Dream, das gemeinsame Projekt mit Pete Schelley Buzzkunst und die beiden Luxuria – Platten, alles freilich kommerzielle Flops. Das Wiederaufleben von Magazine ist daher umso erstaunlicher. Der für den Sound enorm wichtig gewesene Gitarrist John McGeoch ist verstorben – dessen Position übernahm der Luxuria-Partner Noko – , Barry Adamson hat Anderes zu tun, ansonsten hört man auf No Thyself die Besetzung vom Jahr der Auflösung 1981. Magazine 2011 klingen dann auch (erschreckend?) authentisch und werkstreu: Unterkühlter Wave-Funk-Bass, flirrende Keyboards, Goth-Gitarre wie auf dem Debut, der absurd-überkanditelte Kunstgesang Devotos wurde allerdings selten ätzender und treffender in Szene gesetzt.

Wire-Sound

 

Ripples September 2011

September 9th, 2011

The Wild Swans – The Coldest Winter For A Hundred Years

Liverpool, jahrzehntelang traumatisiertes Epizentrum des weitgreifenden industriellen Niedergangs Großbritanniens, mit einer größeren Völkerabwanderung als jede andere Stadt, übt sich seit einiger Zeit in der gigantisch angelegten Stadterneuerung: Shopping Malls anstelle von zugenagelten Innenstadthäusern, Luxusapartments in den lange dahinsiechenden Docks, Museen und Spektakel als Begleitung zu den 800-Jahre– und Kulturhauptstadt 2008 – Feiern, Phönix rückt den Liverbirds aufs Gefieder. Der “Regeneration” fallen aber auch eine halbe Million, zum Teil noch bestens erhaltener Wohnhäuser, die jahrelang leerstanden und zu Spekulationsobjekten wurden, architektonisch stilprägende Kaufhäuser und kulturelle Einrichtungen zum Opfer. Nach Ladenschluss torkeln die Besoffenen und die Obdachlosen nun durch das neue Glitzerparadies und lassen sich dabei vom freundlichen Summen der sich auto-justierenden CCTV-Kameras begleiten.

Paul Simpson beklagt die zunehmend velorengehende kulturelle Identität, die sich seit den 1960ern über ein kreatives Außenseitertum definierte, die Stadt prägte und einzigartig dastehen ließ. Diesmal die Demütigungen unfähiger Produzenten vermeidend, ist The Coldest Winter For A Hundred Years nun das stark autobiographisch beinflusste Wild Swans-Album geworden, wie es gedacht und lange angekündigt war. Während der andere große Chronist Liverpools seit den 1980ern Michael Head aus einer stark introspektivistischen Sichtweise abstrakter textet, schreibt Paul Simpson neben persönlichen Stücken über Jugend, familiäre Lebensläufe und Freundschaften auch über die allgemeinen gesellschaftlichen Veränderungen (zum Guten? Zum Schlechten?):  die 80er-Jahre Punkzeit, die Riots, architektonische Verwahrlosung; Texte, die teilweise auch für einen Gedichtband bzw. einer Biographie konzipiert waren. Desperation (‘My town used to fill my head with wonder, yeah / now it fills me with disgust/…And a grimmer time I can’t recall / Like ancient Rome we start to fall/ Like Ringo, John and George and Paul / It’s breathed its last / it’s dead / it’s over now ) und anarchischer Widerstand ( ‘ Once, all this was silver birch / Scots pine and English yew / Hawthorn where Aldi stands / Come now, we can plant anew / And crack wide Tesco’s aisles / With acorns from the ground / Quintillions of sacred atoms cluster and collide’ ) halten sich die Waage und die Musik bewegt sich ebenso zwischen diesen emotionalen Polen, zwischen klassischen Mersey-Beat-Hymnen für die Jetztzeit und zeitlosem Folk, zwischem ironischem Pathos und coolen Understatement.

The Wild Swans

Mikrowellen

Occultation Records

 

Ripples August 2011

August 16th, 2011

Elysian Fields – Last Night On Earth

Jennifer Charles und Oren Bloedow geben seit einigen Jahren- weitgehend unbeachtet- das neben den Geschwistern Friedberger most-sophisticated gemischgeschlechtliche Duo. Mit der rhythmisch-modernen Adaption klassischer sephardischer Musik La Mar Enfortuna sind die New Yorker freilich auch einem breiteren, konservativeren Publikum geläufig (auch wenn der Boss von Tzadiks’ Radical Jewish Culture – Serie sich und seine Künstler wohl ‘file under avantgarde’ einordnen würde). Die bluetone-ige, versponnene Musik, die jedes erdenkliche Genre zitiert ohne jemals die Grundstimmung aufzugeben und die lyrisch-skurrilen Texte, vorgetragen von einer modsüchtigen Charles’ wiederum, die das Projekt Elysian Fields auszeichnen, genießen vor allem in Frankreich wertschätzenden Status. Last Night On Earth heißt das neuste Opus, wie schon der Vorläufer After Life’ vielleicht weniger apokalyptisch als zukunftsversprechend gemeint, denn sind die Elysian Fields doch der Ort, zudem Helden und Künstler nach dem Tod gesandt werden. Elysianmusic

Half Asleep – Subtitles For The Silent Versions

Dunkel, versponnen, surreal ist die Stimmung auf Subtitles For The Silent Versions, dem nach einer sechsjährigen Pause, neusten und erstaunlichen Album Valérie Leclercqs. Die früher noch zu erahnenden Inspirationen durch amerikanische Slow Core-Giganten wie Low oder Jessamine sind passé, Choral- und Spektralmusik in all seinen Schattierungen ist angesagt. Leclercq spielte in den letzten Jahren u.a. mit Matt Elliott zusammen, der musikalisch ähnlich gelagerte Affinitäten auf seinem Songzyklus umsetzte. Doch ist die Musik von Half Asleep weit strenger und reduktionistischer angelegt. Akustische Gitarre und Piano bilden bei den meisten Stücken neben dezenten Ergänzungen mittels Trombone, Trompete, Flöte, Streicher und auch Haushaltsgeräten das Grundgerüst für subitile, aber komplexe und dramatische Kompostionen. Die Welt von Subtitles For The Silent Versions ist frostig, brüchig und die aufkommenden Assoziationen von einer dem Irrdischen beinahe schon entrückten Endzeitstimmung ähnlich der, der ähnlich aus der Zeit fallenden, Popol Vuh ist meisterlich inzeniert. Die Lyrics, Leclerqs’ eigene wie auch die Zeilen aus Gedichten Emily Dickinsons’, die ja bekantlich eine Biographie ‘stranger than life’ lebte, sind von gleicher Dichte.

Half Asleep

Blessed By Sleeplessness

Ripples Juli 2011

July 24th, 2011

Dirty Beaches im  Zé Dos Bois,  21.7.2011

Dem Kanadier mit taiwanesischen Wurzeln Alex Zhang Hungtai eine Affinität zum Reduktionistischen zu attestieren, ist grobes Understatement. Beim Auftritt im weit über Lissabons-, gar Portugals Grenzen hinaus hochgeschätzten Zé dos Bois benötigt er auf der kleinen Bühne nicht einmal einen Mikrophonständer.
Das ZDB ist eine sonstwo eher schwer vorstellbare Kreuzung aus Galerie, Musikclub, Cafe, Kneipe und Kino – auf der Terrasse im obersten Stock wird gerade ein Dokumentarfilm über Black Power/James Brown projeziert:… auf die Wand des gegenüberliegenden Hauses im engen Bairro Alto-Quatier. Dort gibt es dann auch um drei Uhr früh kaum ein Durchkommen, Stehparty vor den Kneipen und immer noch offenen Läden ist angesagt.
Dirty Beaches: Loops und Drums vom Band, Gitarre und Gesang: Alex Zhang Hungtai sieht aus wie einer der coolen, unterernährten Kleinkrimnellen aus Oshimas Sechziger-Filmen oder wie ein Elvis-Imitator, was ungefähr das Gleiche sein dürfte. Und der Sound? Als Einmann-Band unterlegt er trockenen Rockabilly, Elektro-Noise und die Kunst des Croonens mit einem perfiden Hauch von dunkler lynschischer Uneindeutlichkeit. Das Cover von Badlands, dem aktuellen Album, zitiert die sinistere Seite Amerikas: auf der Frontseite ist Alex Zhang Hungtai im undeutlichen Seitenprofil hinter einer Rauchwolke abgebildet (jawohl, Nikotin oder noch schlimmere Höllenschwaden), auf der Rückseite ein brennendes Autowrack.
Die diversen Singles und auch Badlands sind, wie überhaupt das ganze Auftreten Hungtais, scheinbar eine Hommage an seinen Vater, der in seiner Jugend ein für taiwanesische Verhältnisse wildes Leben führte, Motorrad fuhr und in Bands sang. Das ‘secret life’ seines Vaters entdeckte Alex erst als er selbst schon erwachsen war. In die Musik von Dirty Beaches fließen nicht nur die Einflüsse der üblichen Verdächtigen ein, Zhang ist auch ein großer Anhänger der Filme Jules Dassins, des Gesangsstils des No Wavisten Arto Lindsay und des Gitarristen Roland S. Howard.

Ripples Juni 2011

June 27th, 2011

Pedro Hestnes (1962-2011)

Mit nur 49 Jahren starb der portugiesische Schauspieler Pedro Hestnes am 20.06.2011 in Lissabon. Hestnes war d a s  Gesicht des neuen portugiesischen Kinos seit den 1990er Jahren. Die erste, jugendliche, männliche Identitätsfigur (Inês de Medeiros, Jugendfreundin, die im gleichen Quatier aufwuchs, ist das feminine Pendant), die das lusitanische Kino seit Rui Gomes in Paulo Rochas neorealistischen Klassiker Os Anos Verdes aus den Sechzigern aufzuweisen hatte. Ganz anders als die behäbigen, intellektuellen Gestalten fortgeschrittenen Alters, die in den Filmen De Oliveiras und Monteiros durch die Sujets schleichen, ist Pedro Hestnes intensive Verkörperung des romantischen, stets verschlossenen, fragilen und verletzlichen Heldens, der letztlich immer auch Verlierer ist, von ein anderen, geheimnisvolleren Welt. Sie hat auch weder etwas mit den machohaften Attitüden der Nouvelle Vague – Protagonisten aus den 1960ern noch den nerdigen Typen des Independendkinos der 1990er gemein. Viele Filme, die er mit Regiesseuren wie Pedro Costa, João Botelho, Teresa Villaverde oder João Canijo drehte, spielten auch nicht in urbanen Metropolen und in Bohèmekreisen, sondern in abgeschiedenen, ruralen Landsstrichen. Die meisten der talentierten portugiesischen Filmemacher aus den 1990ern brachten es aus diversen Gründen nicht zu internationalem Ansehen, mit großer Verspätung hat sich einzig Pedro Costa den fragwürdigen (internationalen) Ruf des Geheimtipps unter Cineasten erworben. In seinem Debut O Sangue/Das Blut von 1989, einer geheimnisvollen Familiengeschicht, vom kongenialen Kameramann Martin Schäfer in kontrastreiches monochrom getaucht, wirkt jedes Bild wie ein unterkühltes, unumstößliches Statement. Hestnes brillierte mit Inês de Medeiros in den Hauptrollen. Mit Costa zusammen definierten sie einen neuen Geist im portugiesischen Film, der zwar durchaus Verehrung für die experimentelleren Bereiche der Filmgeschichte zeigen durfte, aber vor allem auch von einem Punkspirit beseelt war. Bevor es Hestnes dann endgültig zum Film zog, studierte er Theater, Architekur und Kunst; er war auch an einigen Theaterproduktionen beteiligt.
Neben O Sangue waren Xavier, Agosto, A Idade Maior, Lobos und Body Rice weitere wichtige Filme des Schauspielers Pedro Hestnes, die man aber außerhalb der portugiesischen Programmkinos höchstens auf Festivals oder im Fernsehen zu sehen bekam. Schon schwer von der Krankheit gezeichnet, arbeitete er bis zuletzt mit der Regisseurin Catarina Ruivo an deren Film Em Segundo Mão /Aus Zweiter Hand.



 

Nancy Elizabeth und James Blackshaw im Maria Matos

Guitarra Portuguesa und Movimento Perpétuo, die ersten beiden Platten des Fado-Gitarristen Carlos Paredes von 1967 und 71 respektive, werden in einer exklusiven Vinyl-Ausgabe im November auf Drag City wiederveröffentlicht: Ben Chasny aka The Six Organs Of Admittance war seit längerer Zeit von dem portugiesischen Maestro so angetan, dass er sich mit den Labelchefs seit 2005 um die internationalen Rechte bemühte. Ein anderer Meister der Gitarre, der Brite James Blackshaw gastierte für ein rares, gemeinsames Projekt mit Nancy Elizabeth in Lissabon; im, ganz im Gegensatz zu den Erwartungen, modernen, zweckmäßigen Maria Matos Teatro. Blackshaw, der den ersten Teil des Konzertes solo bestritt, bevor es zu einigen Stücken im Duett mit Nancy Elizabeth kam und diese dann den zweiten Part übernahm, ist, wie er bekundete, gleichfalls ein Anhänger Paredes. Seine Musik ist insofern nicht so weit von der Paredes entfernt, als dass sie virtuos, aber nicht angeberisch ist. Sie trägt einen ähnlichen Schimmer Melancholie in sich, ohne im Eigentlichen blue-note zu sein. Ansonsten, so kann man im Programmheft lesen, waren für James Blackshaw John Fahey, Derek Bailey, Robbie Basho und auch die Protagonisten der Minimal Music wie Reich, Charlemagne Palestine oder Pärt in seiner Entwicklung von Bedeutung. Als er um die 20 Jahre alt gewesen sei, habe er entdeckt, dass man mit einer 12-saitigen Gitarre alle Vorlieben und Ideen umsetzen könne: Oberton-Musik, Drones, Minimal Music. Die meist um die zehn Minuten sich entfaltenen Stücke des Abends sind streng durchkomponiert, ohne dass ihnen das anzumerken wäre. Mit einer Leichtigkeit offenbart Blackshaw seine Kunst die ganze Palette atmosphärischer Spannungsebenen in ein Stück unterzubringen.
Nancy Elizabeth veröffentlichte zwei Alben auf dem Leaf-Label. Battle and Victory von 2007 ist ein opulent, exotisch instrumentiertes (weird-) Folk-Album; Wrought Iron von 2010 spürt hingegen mit einer reduzierten Anzahl akustischer Instrumente dem inneren des Tons nach und ist – dies eine Parallele zu James Blackshaw – von Steve Reich und Minimal Music beeinflusst. Offensichtlich werden diese Vorlieben allerdings weniger bei der Instrumentierung als beim Gesang, der Techniken der Choralmusik zitiert und oft repetiven Charakter hat.
Nancy Elizabeth wird oft im Zusammenhang  mit Joanna Newsom erwähnt (die Harfe auf der ersten Platte, unorthodoxer Gesangsstil); auf der Bühne des Teatro Maria Matos konnte man allerdings noch eine ganz andere Seite Elizabeths kennenlernen. Die aus Lancashire stammende und in Manchester lebende Musikerin improvisierte an der Gitarre oder am Flügel und sang dazu. Die Setlist ständig umwerfend und die Techniker etwas in Stress versetzend, spielte sie Altes und Neues in ultra-reduzierter Form. Staubtrockener Humor, ein schrilles, ordentliches Maß Exzentrik und professionelle Zerstreutheit, diese Klischees erwartet man von einer Britin, trotzdem ist das, angesichts der beinahe weltumspannenden Gleichförmigkeit des Künstlertyps, immer noch erfrischend. Kammer/Hausmusik, Kunstlied, Anleihen an überlieferte Volkslieder und die avantgardistische Interpretation und die Vermischung von allem passen bei Nancy Elizabeth perfekt zusammen.