Bruxelles Soundscapes 5
January 10th, 2009
Françoiz Breut: La Gravité Des Sentiments
Mit einer scheinbar aus Spontaneität und Selbstmacherethos genährten Passion für das Singen ausgestattet, läßt sich die französische Sängerin Hermine Demoriane in der ersten Hälfte der 1980er Jahre von einem ausgesuchten Kreis von Musikern zwei Platten schreiben und Klassiker arrangieren, die subversiv die Aufhebung der Dualität von Ich- und Lebenstrieb betreiben.
Beim Straßburger Auftritt, ungefähr zwanzig Jahre später, hat Françoiz Breut wohl Ähnliches im Sinn. Die fragilen Konstruktionen ihres mittlerweile drei Alben * umfassenden Repertoires, das zu komponieren sich ebenfalls die zeitgenössische Creme des alternativen Songwritertums berufen fühlte, werden von Boris Gronemberger (Gitarre, Vibraphon, Gesang), Luc Rambo (Keyboards, Synthesizer, Percussion) und Sacha Toorop (Drums) karg in Szene gesetzt, während die Interpretin die Lieder mit einer widersprüchlichen Mischung aus leidenschaftlichem Understatement und ironischer Distanz illustriert. Sie hat dafür alle Zeit der Welt. Zwischen den Stücken, die ohnehin meist die Kunst der Langsamkeit und Unaufgeregtheit zelebrieren, legt sie auf einem antiken Plattenspieler, scheinbar nach dem Zufallsprinzip, Sprech- und Geräuschplatten auf, bis die Band einsetzt und doch einen thematischen Bogen spannt.
Wenn man in Cherbourg, wo Françoiz Breut ihre Kindheit verbringt, aufs Meer schaut und die Sinne plötzlich überwach sind, lassen sich vielleicht die Radiowellen jenseits des Kanals auffangen. Sicherlich hat man aber ausreichend Distanz zu Paris. Die BBC, Internationales überhaupt, aber auch die Platten ihrer Eltern mit bretonischer Volksmusik sind für die Edukation ihrer musikalischen Vorlieben ebenso prägend wie die Musik von France Inter. In Nantes studiert sie Ende der 1980er Jahre an den Beaux Arts und lernt Dominique Ané kennen, der gerade zu so etwas wie einem französischen Popstar aufsteigt. Eigentlich mit den Verzweigungen der Bildenden Kunst hinreichend ausgelastet, lässt sie sich vom Musikmachen überzeugen. Bei Ané als Begleitsängerin und als Gestalterin einiger Plattenhüllen involviert, verläuft die Emanzipation vom Mentor dann zügig und sie sucht und findet ihren eigenen Weg.
Schon ‘Françoiz Breut’ (19979, das juvenile Debut, das praktisch noch ausschließlich von Ané geschrieben und produziert wird, klingt erstaunlich abgeklärt. Ohnehin zum Fragmentarischen tendierend sind die Stücke auch musikalisch auf das Essentielle beschränkt. Gitarre, dazu einige Tupfer Pastellfarbe mittels Keyboard, Trompete und Violoncellos sind ausreichend. Wie eine noch weiter entkernte Kammermusik fließt die Musik als Unterlegung des Sprechgesangs Breuts dahin, Stück für Stück. Das steht kaum in der Tradition französischer Chansons. Ungleich auch dem bourgeoisen hippieesken Nomadentum des alternativen Folks, das mit Coco Rosie, Devendra Banhart oder Cat Power seine eigenen Stars kreierte, wird hier dem Existentialismus gefrönt. Die Irrungen und Wirrungen der Liebe sind ‘das’ Thema.
Dreißigtausend Tage ist ein durchschnittliches (europäisches?) Leben lang. ‘Vingt A Trente Mille Jours’ lässt selbstverständlich offen, ob uns das beruhigen oder das Fürchten lehren soll. Musik und Text sind tiefblau, aber eine spröde Nüchternheit in der Stimme der Sängerin hält alles im Vagen. ‘Vingt A Trente Mille Jours’ (2000), in größerer Besetzung und bei einigen Stücken mit Arrangements des Budapest Symphony Orchestras eingespielt, ist dynamischer und aufwendiger produziert, am mittlerweile perfektionierten Amateurismus Breuts ändert sich aber wenig. ‘Sans Souci’, der alte Peggy Lee – Klassiker reißt kurz aus der Nachdenklichkeit, bevor dann wieder ‘L’heure bleue’ anbricht. Auf ‘Une Saison Volée’, dem dritten Album (2005), fungieren als Stückeschreiber die schwedisch-französischen Herman Düne, Jaime Christobal, Federico Pellegrini, Fabio Viscogliosi, Jérome Minière, Philippe Poirier, Deziel und Ané. Es wird mit Musikstilen experimentiert und Françoiz Breut singt außer in Französisch auch in Englisch, Italienisch und Spanisch. Dazu gibt’s den wackligen Hardy – Klassiker ‘Le Premier Bonheur Du Jour’ als Draufgabe. Joey Burns ist bei einigen Stücken als Musiker beteiligt, Howe Gelb widmet ihr einen Song und plötzlich gilt sie mit ihrer Trilogie über ‘la gravité des sentiments, une soif d’amour et de vie’ bei nicht wenigen als Erneuerin der französischen Musikszene.
Seit 2000 wohnt Françoiz Breut in Brüssel, um sich neben der Musik verstärkt der Illustration zu widmen. Zeugnis davon findet man außer in diversen Buchpublikationen auch in den Textheften der Platten. ‘Ich verfüge über ein sehr gutes visuelles Gedächnis, die Texte, die ich singe, verwandeln sich automatisch in Bilder.’ Als Brüsseler hat man wiederum an unterschiedlichsten Eindrücken keinen Mangel. Auch müsste man eigentlich von einer permanenten Identitätskrise geplagt sein. Nicht nur ist die Stadt im Zustand einer ständigen Rekonstruktion und dementsprechend chaotisch; als Hauptstadt von EU-Europa, Belgien und Flandern und geographisch im flämischen Norden lokalisiert, ist sie aber doch ein eigenständiger Distrikt und, obwohl offiziell zweisprachig, Französisch natürlich die Sprache der meisten Einwohner. Benjamin Lews halluzinatorische ‘elektronische Landschaften’ haben die bittersüße Melancholie des Fernwehs oder auch nur die der billigen Aparthotels der Zugewanderten konserviert. Nimmt man Françoiz Breuts Musik als aktuellen Stimmungsbarometer, hat sich an dieser Grundstimmung der Stadt wenig geändert.
* ‘À L’Aveuglette’ heißt das aktuelle, vierte Album, das im November 2008 erschien.