British Ghost Stories 2

June 16th, 2009

Matt Elliott – Something about Ghosts

Als Matt Elliott beim zwanzigminütigen Schlußstück ‘The Maid We Messed’ nochmals in die Rolle (des einzigen Mitglieds) der Third Eye Foundation schlüpfte, konnte man die Entstehung elektronischer Musik in Echtzeit mitverfolgen. Beginnend mit unstrukturiert scheinendem, im Saal kaum wahrnehmbarem, Surren und Klicken wurden Layer um Layer mit Melodien und Beats zu einer melancholischen, immer dichter werdenden Himmelsfanfare übereinandergeschichtet, bis alles irgendwo unter der Hallendecke zerbarst. Ein Fehler in der Konzentration und das Stück wäre implodiert.

cctv

‘The Maid We Messed’ war, laut Elliott, eine letzte Reminiszenz an die eigene musikalische Vergangenheit. Mit dem Umzug von Bristol nach Frankreich vollzog sich 2003 auch ein musikalischer Kurswechsel, der sich auf dem vorherigen Album ‘The Mess We Made’ (Domino, 2003) abzuzeichnen begann. In der kargen Besetzung Elliott (Gesang, Gitarre) und Chris Cole (Cello) wurde zuvor an diesem Abend ein Auszug aus dem beinahe balladesken aktuellen Repertoire präsentiert: Verhuschte, desperate, an Seefahrerlieder und Choralgesänge gemahnende Einsamkeitsmonologe über den Zustand im Allgemeinen (“The Kursk is dedicated to those lost at sea”) und der Welt im Besonderen (“A Waste Of Blood is dedicated to the memory of all the victims of the United States Of Americas foreign policy”) sind das meist, die dramaturgisch allerdings ähnlich komplex wie die elektronischen Stücke sich labyrinthisch verzweigen.
Mitte der 90er Jahre, der gierige Popmarkt hat gerade den Manchester-Rave verdaut, streckt man die Hände gen Süden und ruft Bristol zum Mekka des Hedonsimus aus. Wie gewohnt fallen die subtileren Ideen durch das Netz (vom Vermächtnis des situationalistisch-inspirierten Anarcho Punk/Dub eines Mark Stewart borgt man sich immerhin noch die fetten Bässe), was eine kreative Schattengesellschaft erst anspornt. Flying Saucer Attack, Crescent und Philosopher’s Stone beispielsweise haben sich eher den Gitarren-Distortationen in der Tradition von My Bloody Valentine und dem britischen Außenseiter- Songwritertum als getriphoptem Soul verschrieben. Matt Elliott, vielseitiger Instrumentalist und als Angestellter eines Plattenladens gleichsam musikhistorisch manigfaltig geschult, ist an diesen Projekten als Gitarrist, Schlagzeuger, Violinist, Pianist und Programmierer beteiligt und startet, nachdem der Name The Third Eye Foundation zuerst als Titel der ersten Flying Saucer Attack-Platte auftaucht, unter selbigem sein eigenes Projekt. 1996 erscheint mit ‘Semtex’ (Linda´s Strange Vacation, 1996) das erste Album. Als der Jugend geschuldeter, merkwürdiger, etwas unausgegorener Zwitter zwischen Gitarrenlärm und experimentellem Drum’n Bass ist die Musik gleichsam von zu düsterem Gehalt, um die Dancefloorgemeinde anzusprechen. Der pastorale Gesang Debbie Parsons’ ist der Kommerzialität auch nicht eben förderlich. ‘In Version’ (Linda´s Strange Vacation, 1996), Remixe von frühen Kollaborationen, dreht die Originale karthartisch durch den Noise-Fleischwolf. Ghost, das erste Album für Domino 1997 birgt schließlich schon den markanten Third Eye Foundation-Sound. Die dunkle “entertainment through pain”- Ästhetik, der vom Industrial entlehnte und vom Machismo entkernte Grundbaustein der Musik, mittels Sampler und Powerbook mit Beats angereichert und mit filigranen Arrangements kombiniert, läßt schon die letztlich in seiner Musik immer deutlicher hervorstechende lyrische Ader erkennen. ‘You Guys Kill Me’ (Domino, 1998) ‘Little Lost Soul’ (Domino, 2000) und ‘I Poo Poo On Your Juju’ (s.o.) perfektionieren die schizophrene Idee, Drum´N´Bass für das stille Kämmerlein zu kreieren. Die Stücke werden komplexer und dichter, der gebrochen-sakrale Grundton wird zu einem Hauch transzendenter Vagheit verfeinert.
Als Glücksfall erweist sich in dieser Hinsicht die Zusammenarbeit mit dem Künstler Uncle Vania, der Matt Elliott nach einem Konzert ansprach und sich anbot, die Musik visuell umzusetzen. Die Wachturm-artige Überhöhung, Anspielungen auf die Dekadenz der russischen Diaspora des letzten Jahrhunderts und der geisterhafte Unterton in den Kollagen für das Artwork von ‘Little Lost Sou’l, ‘I Poo Poo On Your Juju’ und der Matt Elliott – Trilogie auf Ici D’ailleurs spiegeln die Intention der Musik.
‘Drinking Songs’ (Ici D´Ailleurs, 2005), ‘Failing Songs’ (Ici D’Ailleurs, 2006) und schließlich ‘Howling Songs’ (Ici D’Ailleurs, 2008) sind eine Fortführung von ‘The Mess We Made’ und begeben sich wieder auf den Pfad der Geisterbeschwörung, teilweise mit Unterstützung weiterer Musiker: die Cellistin/Violinistin Patricia Arquelles Martinez bringt gar Flamenco- und Klezmereinflüsse ins Spiel. Dies sind die bisher ausgereiftesten Werk Elliotts. Die Idee “to mix upbeat music with miserable lyrics” wird zwar musikalisch nicht eingelöst – schließlich war Elliotts Großmutter auch russisch-estnischer Abstammung – , die Tendenz hin zu einer fragmentarischeren, spröderen Musiksprache ist aber wohl eine logische Weiterentwicklung. Der Kontakt zu Ici D´Ailleurs entstand übrigens schon 1999, nachdem er Yann Tiersens ‘La Dispute’ für das spätere Album ‘I Poo Poo on Your Juju’ remixte. Da die Hörerschaft ohnehin in Frankreich am aufmerksamsten ist und Domino zusehends mit den Majors konkurriert, paßt einer wie Matt Elliott gut in das eklektische Programm von Tiersens Label in Nancy.

Der kontinentale Boden scheint in jedem Fall ein fruchtbarer zu sein. Ein neues Album , ein Soundtrack zu einer Ausstellung Uncle Vanias ist angekündigt. Aber auch die Idee zur Zusammenarbeit mit französischen und belgischen, ähnlich veranlagten Künstlern scheint zu reifen, z.B. mit der jungen Brüsslerin Valérie Leclerq aka Half Asleep, deren Musik tatsächlich den Schwebezustand zwischen Wachsein und Schlaf auslotet; eine Seelenverwandtschaft, spielte in seiner Liveformation

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